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Schulmedizin oder Homöopathie –was hilft meinem Auto wirklich?Von Simon CrollI.
"Die Traverse, Chef. Sonst geht nix.“ Ich stehe unter der Hebebühne neben den Doktoren, die sich mit besorgter Miene den Patienten betrachten und im Geiste die Gebührenordnung durchgehen. Das, was der Assistenzarzt die „Traverse“ nennt, trägt in meinen Augen das ganze Fahrzeug in voller Breite. Wenn die raus muss, wird das dauern, wird das teuer, wird das ein Fall für „Intensiv“.
Hoffentlich bleibt der Chef hart. Wenn die tatsächlich
die Traverse abmontieren, stehe ich ohne Auto da, für drei Tage
oder so. Es geht voran. Es geht weiter. Der Halter lässt sich nur mit Mühe
an der Traverse vorbei heraushebeln. Noch 15 Minuten. Die Ratsche ratscht.
Der Chef schwitzt. Der Adlatus tupft ihm die Stirn. " Mein Gott, wie lang ist diese Schraube? Da bewegt
sich nichts mehr, und ich dreh mir hier den Wolf.“ Die Ratsche ratscht. Der Chef schwitzt. Noch 10 Minuten. Und ratscht. Schwitzt. Wird abgetupft. Man sieht ihm an:
Hier geht es um mehr. Er ist jetzt ganz Ausbilder. Und Chefarzt. " So, das hätten wir. Ich fahr noch kurz Probe.
Im Büro kriegen Sie die Liquidation. Haben Sie aber Glück
gehabt: Eigentlich hätte die Traverse raus gemusst.“ 30 Minuten. "Mundschutz! Hände! Kittel! - Was haben wir
noch?“
II. Autos aller Marken, bunt nebeneinander. Kein neues dabei, aber alle gepflegt und preiswert. Statt eines Herstellernamens prangt ein „Auto Schulz“ über der Werkstatt. Eine Hebebühne, frei. Ein alter 190 SL, halb wieder hergestellt, in der Reha-Abteilung. Auto Schulz raucht während der Arbeit. Das Rauchen ist wichtiger Bestandteil seiner Arbeit. Wenn seine Pfeife ausgeht, ruht die Arbeit so lange, bis Auto Schulz merkt, dass seine Pfeife ausgegangen ist. Das dauert. Dann steht er reglos in der großen, zielmlich leeren Halle, stiert auf den Pirelli-Kalender mit den Mädels, geht nach draußen oder macht eine ausführliche Patientenberatung. Bis er es bemerkt. Dann stopft er die billige Shagpfeife
aus den 50ern mit billigem Shag aus Holland. Er stopft in der Hosentasche,
einhändig. Das dauert. Aber dann qualmt‘s wieder fuchterregend,
dass man meint, er müsse die Absaugung einschalten. Tut er aber
nicht, sonder er arbeitet dann weiter. Anamnese. "So, dann wollen wir mal. Was hat er denn?“ "Nur in Linkskurven? Hm... Auch bei Nachtfahrten?
Hmmm.... „ "Sie könnten ja mal fahren damit“, schlage
ich vor, doch er zeigt sich unbeeindruckt. " Ist das eher ein Rasseln oder ein Pfeifen?“ " Äh... es pfeift so.“ " Metallisch?“ "Und wenn Sie dabei bremsen?“ " Dann isses weg!“, freue ich mich. Pause. Keine weiteren Fragen, Euer Ehren? Nein, die Pfeife ist kalt. Und dabei waren wir sooo nah
dran! – Der Kalender – ein Mädel, ein Auto, ein Pfirsich.
Alle nackt. Das Wetter im Bergischen. Das Telefon. Zwanzig Minuten später muss ich husten. Es kann weitergehen. " Rückwärts?“ " Könnt ich so nicht sagen, aber sie könne
ja mal fahren...“ " Wenn Sie so fragen... ja! Immer wenn die Kinder
hinten drin sind! Wäre ich ja nie drauf gekommen!“ "Tscha.“ "Soll ich ihn auf die Bühne fahren?“ Er schiebt das Auto eigenhändig in die Halle, lenkt es in eine helle Ecke. Raucht fürchterlich. Der Herr Schulz. Ich rechne damit, dass er die Hinterachse anhebt, das
Auto irgendwie aufbockt, aber er macht erstmal die Haube auf. Raucht. "Das ist ja noch der alte Sechszylinder!“ Er
strahlt ein gelbes Lächeln. Als hätte er einen alten Bekannten
getroffen, der ebenfalls raucht. Shag natürlich. "Der wird ja gar nicht mehr gebaut. Schade, dabei läuft der so herrlich ruhig. Machense mal an, bitte.“ Feierlicher Ton. Ich bin richtig stolz auf mein Auto. Obwohl es kaputt ist jetzt. Oder ist es nur irgendwie aus dem Gleichgewicht geraten? Er lauscht, hält den Kopf schräg, nimmt sogar kurz die Pfeife aus den Zähnen. Das hätte er nicht tun sollen! Sie geht aus! Er geht raus! Der Motor geht aus. Ich suche nach Streichhölzern, finde keine. Der Pfirsich stört irgendwie auf dem Bild. Das Auto
auch. Es regnet jetzt. Das Telefon. Was gibt‘s zu essen heute? Endlich die Hand in der Tasche. Rauchzeichen! Ja! Bitte!
Die Hinterrad wird abmontiert, die Radnabe gelöst,
die Teile ans Licht getragen, in den Regen, mit Nikotin angeblasen. "Hmmmmm...“ "Was isses?“ "Hat er das schon im Winter gemacht? Unter Null?“ "Weiß ich nicht.“ Wir haben Mai. Kann
sein. Weiß ich doch nicht.... Er breitet ein halbwegs frisches Taschentuch auf dem Autodach
aus. Legt einen winzigen Spannring darauf. Er nimmt die Pfeife aus dem Mund!!
"Der wars. Den müssen wir erneuern.“ "Tscha.“, sage ich. Er guckt mich irritiert
an. Ich denke, dass er jetzt an die Ersatzteilausgabe schreitet
und dort seine Bestellung aufgibt. Dann schaut der Ersatzteilbeauftragte
eine langen Mikrofilm und rückt den Spannring raus, gegen Quittung.
Dann fällt mir ein, dass ich hier keine Ersatzteilausgabe gesehen
habe und also wohl auch kein Ersatzteilbeauftragter da ist. Auto Schulz zieht sich eine alte Tabaksdose heran. Shag.
40er Jahre, verölt. Sowas hat mein Vater aus dem Krieg mitgebracht. "Dann wollen wir mal.“ Ein Sammelsurium in Schwarz. Es dauert keine 10 Sekunden,
dann liegt ein Spannring neben dem alten Spannring. Ich sehe keinen
Unterschied. "Ich sehe keinen Unterschied.“ Er sieht mich ungläubig an, dampft kräftig,
was mich beruhigt und auf Abstand hält. "So. Sie sehen keinen Unterschied.“ Das klingt beleidigt. Einen Moment sieht es so aus, als
wäre ich nicht würdig, dass dieses Teil in dieses Auto eingebaut
würde. Dass er es wieder verschlösse in Öl und Blech. "Mann. Dies ist ein Spannring aus einem 180er Mercedes,
1972.“ Mehr sagt er nicht. Vorerst. Pause.
"Damit werden Sie Spaß haben! Der läuft
wieder wie ne Nähmaschine. Ganz anderes Fahrgefühl. Werdense
sehen. Hören.“ Es ist unglaublich, aber ich glaub ihm das. Fahre vom
Hof als einer, der über die Maßen beschenkt worden ist, mit
höheren Weihen versehen. Und habe gern bezahlt für eine netten
Morgen. Und irgendwie fährt er sich anders. Auch rückwärts. Durchs Rückfenster sehe ich Rauchzeichen hoch über „Auto Schulz.“ © S. Croll 2003
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