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Hanno Erdwein

Höre Noah!

 

Noah Smith war ein braver und integerer Mitarbeiter von
Microsoft. Seine Quellcodes ließen sich immer sauber in die
Windows-Welt implementieren. Allerdings verdiente Noah mal
gerade den Käse auf seinem Frühstücksbrot. Ganz zu schweigen
von den fünf hungrigen Kindern, die versorgt werden wollten.
Hätte nicht sein Weib den Job als Putzfrau gehabt, würden
sie kaum die teure Miete aufgebracht haben. New York war nun
mal New York.

An der Tatsache, daß sich das Weltklima allmählich und
unerbittlich veränderte und es immer häufiger zu
Naturkathastrophen kam, war nicht mehr vorbeizusehen. Das
führte zu weltweiten Spannungen und man munkelte hinter
vorgehaltener Hand von einem bevorstehenden Krieg. Laut
wurde das aber in allen Medien dementiert.

Noah Smith grübelte wochenlang an diesem Problem herum, ohne
irgendeine Lösung für den zu erwartenden Klima-Gau und der
damit verbundenen politischen Reizbarkeit zu finden. "Ach
Noah!", frotzelten seine Kollegen, "Du bist ein oller
Schwarzseher. So ein wenig wärmeres Wetter ist für unseren
Breitengrad gerade das Richtige. Und ... nach uns ohnehin
die Sintflut."

Tja, das Stichwort war gefallen. Es ließ ihn nicht mehr los.
Vielleicht lag es auch an seinem Vornamen, daß er mehr und
mehr über das biblische Ereignis nachdenken mußte. Worauf
die ganze Welt zusteuerrte, würde die damalige Sintflut
absolut in den Schatten stellen. So wurde er schweigsamer
und immer zurückgezogener. Nur seiner Frau und den
unmündigen Kindern eröffnete er seine Befürchtungen. Und die
teilten sie mit ihm.

Einige Zeit später. Weitere Kathastrophen hatten besonders
die ärmeren Staaten heimgesucht. Nur augenblicke rüttelte
das ein wenig am allgemeinen Bewußtsein. Da die wohlhabenden
Länder verschont blieben, wurde das Elend der anderen rasch
verdrängt. Noah Smith saß wie jeden Tag an seinem Rechner. Er
hatte mit Sorgfalt das Flußdiagramm für eine
Netzwerkanwendung erstellt und überlegte, die Hände im
Schoß, wie er den Ablauf noch effektiver und eleganter
gestalten könnte. Sein Platz war am Ende dieses
Großraumbüros und er war froh, seinen Kollegen den Rücken
zukehren zu können. Sie rissen gern Witze über ihn, den
sonderling. Und er mußte manches mal die Zähne
zusammenbeißen, um nicht wütend zu werden. Was verstanden
sie schon? Was hatten sie vom Leben gelernt? Für sie war die
Welt ein einziger Vergnügungspark, den man nach Lust und
Laune ruinieren konnte. Und mit dieser Einstellung jumpten
sie locker leicht durchs Leben. Noah seufzte und versuchte,
sich wieder auf sein Problem zu konzentrieren.

Plötzlich - was war das?! Der Monitor flackerte kurz auf,
wurde dunkel und war gleich wieder präsent. Nichts hatte
sich verändert. Nichts? Doch. Mitten in seinem so mühsam
erstellten Flußdiagramm stand etwas. Noah riß die Augen auf.
Was sollte das? Hatten sich die üblen Kollegen in seinen
Platzrechner gehackt? Er schielte vorsichtig nach hinten.
Aber dort gab es kein anzeichen irgendeiner Häme.
Verstellten sie sich? Sicher nicht. Derart konnten sie sich
nicht in der Gewalt haben, die heimliche Schadenfreude so
geschickt zu tarnen. Aber - dort stand etwas, was nicht da
hingehörte. "Noah", hießt es, "merke auf!" Woher kam das?
Irgendein Virus? Ein Trojaner? Unmöglich! Das Intranet war
absolut sicher. Oder doch ein übelwollender Kollege?
Nochmals prüfte er die tief über ihrer Arbeit hockenden
Mitarbeiter. Nein. Von dort kam das gewißt nicht. Aber woher
sonst?

Wieder flackerte der Monitor. Anschließend stand dort: "Ich
bin Dein Herr. Höre, was ich Dir zu sagen habe!" Noah
klapperte heftig mit den Liddeckeln. Halluzinierte er? Wurde
er langsam verrückt? Brauchte er einen Psychiater oder
einfach nur Urlaub? "Ich bin Dein Herr!" Was sollte das?
Bediente sich Gott seines Computers, um sich mit ihm zu
unterhalten? Absurd! So begannen die Dinge, die sachte aber
sicher in die Klappse führten.

Die nächste Meldung, die sich über sein Flußdiagramm schob,
lautete: "Du wirst nicht verrückt. Ich bin Dein Schöpfer und
habe eine nachricht für Dich." Noah Smith verkrampfte die
Hände in seinem Schoß. Biß sich auf die Lippen. Kniff die
Augen zusammen und riß sie gewaltsam auf. Das Bild seiner
Arbeit mit dem darüberlaufenden Text blieb erhalten.
Irgendwer mit Fähigkeiten, Gedanken zu lesen, foppte ihn
ganz gewaltig. "Noah. Ich habe Großes mit Dir vor. Vertraue
dem, was Du siehst." Schön gesagt. Vertrauen! Glauben.
Machte man sich damit nicht allmählich zum Narren? "Ich bin
Dein Herr und werde die Welt zerstören. Dich aber habe ich
geprüft und Du sollst gerettet werden; denn Du bist es wert,
nicht unterzugehen."

Noah saß eine Weile wie betäubt vor dem Rechner. Butler, der
die Saalaufsicht hatte, sah schon immer wieder zu ihm rüber.
Er mußte bald die Hände rühren, um keinen anschiß zu
erhalten. "Noah höre! Bau eine Arche, damit ich Dich und die
Deinen erretten kann." Arche! So ein Quatsch! Sie lebten
nicht mehr in Mesopotamien. Und überhaupt! Wo sollte er
derart viel Holz herbekommen, um so einen Kasten
anzufertigen. Tja, und letztlich würde es an der Kleinigkeit
einiger Millionen Dollar scheitern. Er hob entschlossen die
Hände, um zumindest nach außen hin Arbeitswilligkeit zu
demonstrieren. Doch da liefen wieder neue Zeilen über den
Bildschirm: "Mach Dir um die Kosten keine Sorgen. Dein Herr
wird alles regeln. Prüfe zuerst den Stand Deines Kontos!"
Ojeh! Was gab es da groß zu prüfen?! Wenn er die Miete
bezahlt haben würde, bliebe kaum noch etwas übrig. Wovon sie
dann leben wollten, wußte er auch nicht zu sagen. "Prüfe
Dein Konto!", blinkte es heftig. Seufzend logte sich Noah
Smith in den Rechner seiner Bank ein und ... das mußte ein
fürchterlicher Bug sein! Das grenzte an Wahnsinn! Er zählte
die Nullen vor dem Komma und kam auf den stolzen Betrag von
15 Milliarden Dollar. Für eine Weile drehte sich ihm alles
vor den Augen. Er schwankte gewaltig und wäre beinah vom
Stuhl gefallen. Butler stand auf und kam an seinen Platz.
Noah war so geistesgegenwärtig, die Kontoseite wegzublenden,
so daß nun das flußdiagramm wieder im vordergrund war. "Ist
Ihnen nicht gut?" "Doch. Hatte nur ein wenig mit dem
Kreislauf zu kämpfen. Zuviel Arbeit und zu wenig Schlaf."
"Soll das eine Beschwerde sein?", kam es drohend von der
Saalaufsicht. "Wenn Sie das so ssehen wollen?" "Machen Sie
voran. Das Segment wird dringend gebraucht. Sie wissen ja
..." "Ja, ich weiß, daß wir vor einem vaterländischen Krieg
stehen", knirschte Noah verbittert. Fünf Staaten standen
sich gegenüber bis an die Zähne mit nuklearem
Vernichtungsmaterial bewaffnet. Fünf Staaten bezichtigten
sich fortwährend der Schuld am klimatischen Supergau. Fünf
Staaten operierten mit defamierenden Begriffen wie
Schurkenstaat und Achse des Bösen. Dabei reichte ein Teil
des Vernichtungsmaterials aus, die Erde mehrfach in den
Orkus zu schicken. Butler tippte ihm nachdrücklich auf die
Schulter. Eine ekelhafte Gewohnheit, die Noah am liebsten
mit einem Faustschlag beantwortet hätte. Endlich schlurfte
der Kerl wieder auf seinen erhöhten Sitz und blickte in eine
andere richtung.

"Noah höre!", stand nun wieder auf der mattscheibe. "Kündige
und gehe nach Texas." Kündigen? Nun gut. Mit 15 Milliarden
ließe sich das im Handumdrehen realisieren. Aber wenn das
Geld nur eine Wahnidee seines Unterbewußtseins war? Er wär
ganz schön in den Arsch gekniffen, dann mit seiner Kündigung.
"Kündige und mach Dir keine Sorgen." Schwerfällig erhob er sich.

"Kündigen?! Was fällt Ihnen ein?!" Der Chef tobte. "Sie wissen
ganz genau, daß wir vor dem Ausbruch des großen Krieges stehen
und jede verfügbare Hand brauchen." Das war es ja gerade, was
Noah so zum Kotzen fand, einer Sache dienen zu müssen, die ihm in
tiefster Seele verhaßt war. "Ich kündige trotzdem. Hab mich um
Familienangelegenheiten zu kümmern und um das Erbe." "Sie haben
geerbt?" Strangeman schob seinen Kopf nach vorne und war ganz
Ohr. Aber Noah Smith tat ihm nicht den Gefallen, mit weiteren
Informationen rauszurücken. Unterschrieb das Kündigungsformular
und verzichtete damit auf alle weiteren Ansprüche finanzieller
Art. "Sie müssen ja wissen, was Sie tun. Und kommen Sie mir nicht
nach vierzehn Tagen wieder angekrochen und wollen eingestellt
werden." Noah warf noch einen letzten Blick über die Schulter auf
das gebleckte Raubtiergebiß seines Chefs und ging durch die Tür.

Das Handy in seiner Tasche zirpte. Er fuhr seinen Wagen an den
Straßenrand und zog den apparat heraus. "Ja", meldete er sich.
Aber da war niemand dran. Dafür blinkte die LCD-Anzeige "Noah
höre!" Also ging das Spielchen weiter. "Heb Geld für die Reise
ab.
Nimm die Deinen und gehe nach Texas." Zum Teufel! Was sollte er
in Texas? "Geh nach Texas", blinkte die Schrift nachdrücklich. Da
war nichts zu machen. Er würde gehorchen.

Für die Fahrt hatte er sich einen geräumigen Landrover
gekauft. In der Bank hätte man für ihn beinah einen roten
Teppich ausgerollt. Merkwürdig, wie sich das Verhalten der
Leute ändert, wenn sie Geld, viel Geld wittern. Nun fuhren
sie gemächlich durch die karge Vegetation Texas. Sonne,
Sand, Kakteen. Er verstand immer noch nicht, was er hier
sollte. Das Piepsen seines Handies klärte ihn sogleich auf:
"Gehe zu Melcom Village und frage nach dem Sternenschiff."
Wie bitte? Letzteres sollte doch wohl ein Witz sein.
Sternenschif! Mit einer solchen Frage konnte man sich nur
lächerlich machen. "Frage nach dem Sternenschiff", zuckte die
Schrift nachdrücklich vor seinen Augen. Also gut. Er würde nach
einem Sternenschiff fragen und sich als Schwachkopf outen.

"Wer hat Ihnen davon erzählt?" Melcom runzelte ungehalten
die Stirn und seine buschigen Augenbrauen ruckten gefährlich
auf und ab. "Ich erhielt Anweisung, danach zu fragen. Wer
mir die Order gab, darf ich nicht preisgeben." "Tja", meinte
Melcom und ließ seinen Kugelschreiber auf der Tischplatte
tanzen, "die Sache ist die, dasß dieses Unternehmen eine
streng gehütete Familienangelegenheit ist. Weiß der Geier,
wie die nach außen dringen kkonnte." "Also ist etwas dran?"
"Nun hören Sie mal! Sie kommen hierher. Schocken mich mit
der Tatsache, von dem Sternenschiff zu wissen und fragen
gleich darauf, ob etwas an der Sache dran sei. Entweder
verfügen Sie über Fakten oder wollen mich nur
ausspionieren." Noah Smith rückte seine Krawatte zurecht,
unter der es ihm allmählich eng wurde. "Was ich weiß, ist,
daß Sie dieses Schiff gebaut haben oder dabei sind, es zu
bauen. Ich will es Ihnen abkaufen." "He mann! Was faseln Sie
da von Abkaufen?! Sie haben wohl zu dieser hellen Tageszeit
zu tief ins Glas geschaut." "Ich bin nicht betrunken und
fasele noch weniger. Es ist mir ernst mit dem Kaufwunsch.
Nennen Sie eine Hausnummer und wir werden uns einig." "Nun
mal langsam!" Melcom kam hinter seinem Schreibtisch vor und
ging mit eiligen Schritten im Raum auf und ab. Sein bereits
angegrauter Kugelkopf wippte nachdenkend von einer Seite auf
die andere. "Kaufen wollen Sie das Ding. Das ist ulkig!
Äußerst spaßig." "Es ist mein voller Ernst. Wieviel also?"
"Und wenn es unverkäuflich wäre?" "Ich brauch das Schiff um
jeden Preis." "Mann! Sie haben aber Hummel im Arsch. Wieso
drängt es Sie so mächtig in den Weltraum?" "Es drängt mich.
Und damit Basta! Wieviel also." Melcom nannte eine Summe,
die einem anderen als Noah die Luft abgedrückt hätte. Der
aber zog sein Scheckbuch und trug den Betrag säuberlich ein.
""Ist damit alles klar?" Malcom Village betrachtete das
Stück Papier, als sei irgend etwas damit nicht in Ordnung.
"Ist der auch gedeckt?" "Was hindert Sie daran, sich zu
erkundigen?" Das tat der mißtrauische kleine Mann dan auch.
Danach strahlte er wie eine Osram-Birne. "Wo haben Sie das
Schiff stehen? Hier in der Nähe? Kann ich es in Augenschein
nehmen?" "Nicht direkt, mein Lieber. Wir müssen erst noch
eine kleine Strecke Wegs überbrücken." "Was soll das schon
wieder heißen?" "Wir müssen nur mal eben zu den Fidschi-
Inseln rüber." "Wieso? Konnten sie das Schiff nicht hier
..." "Leider nicht. Man hätte es mir gleich unterm Hintern
weg konfisziert, um damit den vaterländischen Krieg zu
gewinnen. Auf den Fidschies befindet es sich auf neutralem
Boden."

Und da ragte der Koloß in den Pazifikhimmel. Smith und die
Seinen standen ehrfürchtig davor. Das Schiff hatte die
Ausmaße der Cheops-Pyramide und wirkte ähnlich
beeindruckend. "Wie wird es angetrieben?" "Eine spezielle
Erfindung von mir. Weltneuheit. Mit der Energie, die dieses
Schiff über Lichtgeschwindigkeit bringt, könnte man die
gesamte Erde auf 100 Jahre mit Strom versorgen." "Auf
nuklearer Basis?" "Nein. Ich geh da ganz andere Wege, die
weitaus umweltfreundlicher sind als dieses Strahlezeug. Aber
ich möchte mich nicht näher dazu äußern. Es funktioniert und
das dürfte Ihnen reichen." Der Mann war gar nicht arogant!

Sie hatten sich alles zeigen und erklären lassen. "Ich weiß
nicht, wie Sie das Schiff steuern wollen. Am besten, ich reise
mit." "Geht nicht. bin vertraglich verpflichtet und zur
Geheimhaltung gezwungen." Mißtrauen glomm in Melcoms Augen: "Für
welche Seite arbeiten Sie?" "für keine und für mich allein." "Gut -
machen Sie was Sie wollen. Wenn Ihnen der kasten letztendlich um
die Ohren fliegt, ist das Ihr Problem."

Schreckensmeldungen jagten durch die Medien. Der Bruch eines
wichtigen ostasiatischen Staudamms löste die ersten aggressiven
Handlungen aus. von fünf Ländern wurde fast gleichzeitig der
Krieg erklärt. Hier stand jedes Land gegen die jeweils vier
anderen.

"Noah höre! Starte die Arche!" Seit einigen Wochen war das
Schiff bereit. Lebensmittel, Wasser und Sauerstoff waren
reichlich vorhanden. Das Dröhnen der ersten feindlichen
Atomraketen ließ die Lautsprecher des TV-Empfängers
erzittern, als Noah Smith den Sternenkreuzer startete.

Die Erde lag unter ihnen und schrumpfte mit jedem Atemzug.
Terra sollte ein strahlend blauer Planet sein. Jetzt
verwandelte der sich in einen Glutball, der dabei war,
auseinander zu brechen. Menschlicher Wahnsinn hatte es
geschafft, mit wenigen Knopfdrücken eine ganze Welt zu
zerstören.

"Schau nicht zurück", stand auf dem Kontrollschirm über dem
navigationspult.

Noah hatte es geschafft, das Schiff zu starten. Aber wie weiter?
Sie jagten an Mars vorbei auf die Bahn der äußeren Planeten zu.
"Vertraue mir und folge Deinen Impulsen", Noahs Hände hantierten
wie in Trance an den Reglern. Soweit er es beurteilen konnte und
etwas von Astronomie verstand, steuerten sie Alpha Centauri an.
Pluto blieb hinter ihnen zurück. Gleich darauf sprang das Schiff
in den Hyperraum.

(c) HE März 2003

 



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