Hanno Erdwein
Monolog im Zorn
(jetzt auch als Hörfassung
in der Online-Lesung!)
Sie sitzen schon eine Weile hier? Gut. Dann setz
ich mich ebenfalls. Schön, dieser Platz. So still. Die Abendsonne,
wie sie sich im Wasser spiegelt. Und der frühsommerliche Vogelgesang.
Komme gern hierher. Sie auch? Obschon - sehe Sie das erste Mal.
Vielleicht zu anderen Zeiten. Wieso? Auch gut. Hab ja Zeit, alle
Zeit der Welt. So als Rentner.
Beruf? Ich bitte Sie. Ist Systemprogrammierer ein Beruf? Das sind
Handlangerdienste für eine dem Menschen weitaus überlegene
Spezies. Oh, Sie waren bei den Spacelern. Auch eine aussterbende
Gattung, wo die Robots den Raumflug automatisiert haben. Eine Entwicklung,
die ich mit äußerstem Unwillen und Mißtrauen verfolge.
Kommt denn niemandem der Gedanke, daß uns diese elektronischen
Existenzen eies Tages ausschalten können? Ist es nicht logisch,
fast schon eine Notwendigkeit für die globale Energiebilanz,
uns nutzlose Biomasse wegzurationalisieren? Sehen Sie, diese Hirne
können doch uns, die wir nichts Neues mehr einbringen, nicht
ewig so weiter durchfüttern. Seit vierzig Jahren gibt es keine
Jobs mehr für uns. Alle nur erdenklichen Tätigkeiten -
selbst so kreative wie Dichten und Komponieren - geschehen in künstlichen
Hirnen. Man hat uns aufs Altenteil gesetzt, abgeschoben, mit der
Vorgauklung paradiesischer Mußezeiten hinauskomplimentiert.
Nein danke. Rauche nicht. Aber Sie können, selbstverständlich.
Und nun sitzen wir hier in der Landschaft herum, die seit unserem
unfreiwilligen Abtreten aus dem Produktions- und Dienstleistungsgeschäft
erstaunlich neu ergrünt ist. Seit wann es diesen See ...? Lassen
Sie mich überlegen. Hier stand einmal die Petrolraffinerie.
Stimmt. Sie sagen es. Die fürchterliche Explosion vor zwanzig
Jahren. Riesenkrater. Und wenn man genau hinschaut, erkennt man
es noch an den ausgezackten Uferrändern. Aber die Vegetation
hat das ehemalige Fabrikgelände zurückerobert. So ging
es mit vielen Produktionsstätten. Sie wurden einfach nicht
mehr gebraucht. Stillgelegt. Abgerissen. Wie bitte? Ja, einen Schnaps
nehme ich gern. Oh, echter Schottischer. Den gibts noch? Hmmm, wie
der duftet. Zum Wohl.
Tja, und dann plötzlich die Horrormeldungen. Massenselbstmorde.
Wie die Lemminge! Gleichzeitig sanken die Geburtenraten. Stimmt,
Sie haben es ja selbst noch erlebt, daß auch ein Großteil
junger Familien zu den extraterristischen Kolonien aufbrachen. Auch
deswegen gab es hier immer weniger zu tun. Fernsehen? Nein. Ein
solcher Volksverdummer kommt mir nicht mehr ins Haus. Was kann man
sich guten Gewissens noch zu Gemüte führen? Von morgens
bis abends dieser virtuelle Quark. Ausgekocht von überhitzten
Elektronikhirnen. Ich bitte Sie, das ist doch keine Kunst mehr.
Zudem sind es verlogene Welten, die einem Rest von Immerdummen vorgegaukelt
werden. Ich mach mir da lieber mein eigenes Bild. Halte mich an
die reale Welt, an die Natur. Sie ist mir Trost und Vorbild. Sie
reagiert und wehrt sich gegen alles, was ihr nicht in den Kram paßt.
Ah, ich merke, daß Sie ähnlich denken und empfinden wie
ich. Wie? Ihnen ist auch schon der Gedanke gekommen? Und warum nicht?
Hier, sehen Sie meine Arme. Sie sind fest und kräftig. In jede
Hand eine Eisenstange und dann ... Sicher sind wir zu schwach. Aber
es gibt noch genug andere, die mit der jetzigen Entwicklung unzufrieden
sind. Heut sind wir zwei. Morgen fünf. Übermorgen fünfzig.
Und jeder Tag schafft uns neue zornige Freunde, die mithelfen, die
Ordnung auf diesem Planeten wieder herzustellen. Ja, ich bin zornig.
Mag auch meine Stimme nicht dämpfen. Das muß mal heraus.
Wir sollten uns gegen die elektronische Entmachtung zur Wehr setzen!
Homoiden aller Länder vereinigt Euch! Fort mit den EDV-Diktatoren!
Nein, ich bin nicht still und ich muß schreien! So kann es
nicht weitergehen. Eines schönen Morgens wachen wir auf und
sind die letzten biologisch denkenden Wesen auf diesem Globus. Damit
muß Schluß sein! Wie? Natürlich denke ich an so
etwas wie eine Bio-Revolution. Wir werden das Rad der Entwicklung
gewaltsam zurückdrehen und die Welt wieder lebenswert machen.
Arbeit für Arbeitende, Tod dem Elektronenterror! Jeder, der
auch nur einen Taschenrechner erfindet, entwickelt, baut, gehört
hinter Gitter. Kommen Sie! Es ist genug Zeit ver... Moment mal!
Was ... Was soll das? Wo kommen die dann her? Nein! Ich will nicht
mitkommen. Verdammte Schrotthirne, laßt mich los! Nehmt die
verdammten Greifzangen weg! So helfen Sie mir doch! Ach, man hat
auch Sie? Loslassen sag ich! Und weg mit dem Narkosestrahler. Aua
ver...! Weg ihr Blechtrottel ... we...
( 12. Jan. 2001)