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Simon Croll
Königin der Nacht(Bildergeschichten)1369 Wörter Im Dorf gibt es nur den einsamen Biergarten, also fahre ich in die Großstadt. Morgens hatte ich in der Tageszeitung von einer „brasilianischen Nacht“ gelesen, die in K., genauer: in den „Gewölben“ K.’s gefeiert werden sollte, „mit allen Überraschungen, die zu einer südamerikanischen Nacht gehören!“ So stand es da, und das verlockt ein Fotografenherz..
Der Programmzettel für die brasilianische Nacht hängt auch da: Viel Kleingedrucktes, ich will’s später studieren. Nirgends exotische Früchte, niemand bietet mir Kokoslikör an, zum Glück, denn ich hasse Kokos. Aber ganz unten, neben der Heizung, findet sich eine Art Kasse. „Hast du reserviert?“ Ich gucke etwas reserviert, denn ich bin der dritte im Bunde. Ist wohl ein Insidertreff, und ich bin mal wieder hoffnunglos zu früh. „Dann setz ich dich auf die Warteliste“, erklärt der schüchterne junge Mann, während er über einem leeren Blatt meditiert und nicht recht weiß, was er da jetzt schreiben soll. Er schreibt tatsächlich „Warteliste“ oben drauf. Sonst nichts. Ein anderer junger Mann kommt hinzu und erklärt, Anja käme heute ohne Iris, da wäre doch eine Karte frei. Meine Konkurrentin neben mir ist schneller und reserviert sich schon mal eine Karte, obwohl sie drohend darauf aufmerksam macht, daß sie keinesfalls beabsichtige, allein da hineinzugehen. Sie hatte auch nicht reserviert. Jetzt kommen zwei reservierte Damen und dürfen nach kurzer Kontrolle auch hinein. Die schwarze Stahltür wird geöffnet, und ich will einen kurzen Blick ins Gewölbe erhaschen, sehe aber nur schwarz. Hören kann ich, wie eine hohe, aufgeregte Männerstimme erklärt, daß man bitte nur den Gummiteppich betreten solle, den roten, und keinesfalls die Tanzfläche. Das wird er in der nächsten halben Stunde noch mehrmals wiederholen, immer aufgeregt. Ich stelle mir den Rufer sehr schlank vor. „Jochen kann auch nicht kommen“, erklärt eine gewisse Susanne. Ich kriege Jochens Karte und darf hinein. „Geh bitte nur über den roten Teppich, jaa?“ Ja. Ich weiß. Ein paar Stühle, Sessel, Hocker, Sofas, Barhocker, Klappstühle und Liegestühle stehen in einem undurchsichtigen Muster in der hinteren Hälfte des Raumes. Eine Theke, ein Klavier, die Tanzfläche. „Bitte nur über den roten Teppich!“ Er ist tatsächlich schmächtig, der junge Mann. Erste Zweifel beschleichen mich: Diesen Raum sollen ein paar begnadete Musiker und hocherotisch dekorierte Tänzerinnen binnen kurzem in einen tropischen Hexenkessel verwandeln? Ich sehe mir meine Eintrittskarte noch einmal an, auf der „Eintrittskarte“ steht und für die ich 9 €(ermäßigt) bezahlt habe: Dochdoch, die schaffen das! Die müssen das schaffen! Die Wartezeit verkürze ich mit der Beobachtung der Eintrittsrituale: „Verunsicherung - Orientierung - Präsentation - Landnahme“: der Single-Visitor. Oder aber „Expreßorientierung - Präsentation - Erkennen - Küßchen - Eingliederung“: Insider, einzeln oder als Paar. Das geht so eine Weile, bis das Muster unterbrochen wird. Auftritt eine ältere Dame, deren Mimik rheinischen Frohsinn ausstrahlt. Vielleicht verkauft sie nachmittags Obst auf der Schildergasse. Sie kommt in langem schwarzem Spitzenkleid, ausgeschnitten bis dort hinaus. Niemand sagt ihr, wo sie zu gehen habe, man geleitet sie, so gut es geht - das Kleid ist raumgreifend breitund paßt nur mit Mühe durch die Stahltür. Erschwerend kommt hinzu: Die Dame hinkt auffallend. Doch daß sie die Königin dieser Nacht ist, weiß jeder der Höflinge. Sie nimmt nicht einfach Platz im Zuschauerraum; sie thront ganz vorn links,neben der Theke, nah bei den kleinen Boxen. Sie hat tatsächlich ein Zepter bei sich, einen federgeschmückten, bunten Holzstab, bestimmt einen knappen Meter lang und am Ende kugelig verdickt. Diesen Stab trägt sie mit der Würde, wie man sie in den alten Winnetoufilmen beobachten konnte, als man sich das Kalumet reichte zum Zeichen dauerhaften Friedens. Ich habe gar nicht gemerkt, daß die Musik inzwischen begonnen hat. Ganze zwei (2) Gitarren, die etwas improvisieren, was mir nicht viel sagt, außer vielleicht: Den Hexenkessel kannst du vergessen. Ananaszauberein, Feuerwerk und brüsteschüttelnde Jungfrauen wird’s auch nicht geben, ich weiß schon. Einen (1) braunen Tänzer hat’s noch, und was der so schüttelt, will ich so genau gar nicht sehen - ich bin im falschen Film. Ich schäm’ mich so.
Es wird mir zu eng und zu warm. Ein kleiner Fußmarsch wird mir
jetzt gut tun. Sonntags ist bei uns immer Grillabend im Biergarten. Vielleicht sollte ich da einmal hingehen. © S.Croll 2003
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