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Hanno Erdwein

Der irdische Krieg findet nicht statt


(nicht nach Jean Giraudoux trojanischer Version)

Der Himmelskörper ist uns seit langem bekannt. Die
Aufzeichnungen über ihn reichen einige tausend Galaxen-
Umdrehungen weit zurück. Und er ist eines jener seltenen
Wunder, die der Kosmos hervorgebracht hat. Jenes Juwel von
einem Planeten versteckt sich im abgelegensten Arm unserer
Galaxie. Dabei wäre es wert, im Blickpunkt aller seinen
Platz einzunehmen.

Seine Entwicklung begann vielversprechend. Zur ständigen
Beobachtung richteten wir auf der rückseite seines einzigen
Mondes die ständig besetzte Station ein. Ich verweile nun
seit knapp einer Umdrehung auf dem nicht sonderlich
begehrten, weil einsamen Posten. Habe die Fortschritte
dieser hoffnungsvollen Spezies von ihren Anfängen in den
Urwaldbäumen bis zur Kernspaltung voll Spannung begleitet.
Sicher gab es - wie überalll so auch hier - immer wieder
Auseinandersetzungen. Dunkelphasen, die jedem intelligenten
Lebewesen nicht erspart bleiben. Hier sind es Zweibeiner wie
wir, die den Keim des Wissens tragen und an jede
nachfolgende Generation weitergeben. Aber auch die
Aggression wurde weiter tradiert, was mich im Laufe der
Entwicklungszeit doch sehr beunruhigte. Viel Zeit und
Raffinesse wurde auf immer tödlichere Waffen verwendet.
Dabei wäre beides dringlicher vönnöten gewesen, Not und
Elend dauerhaft zu bekämpfen. Ich sagte mir, daß die Spezies
wohl noch nicht reif genug sei, das zu erkennen und übte
mich in Geduld.

Schreckliches entstand im Maschinenzeitalter. Das
Vernichtungspotential in einem Teil der Welt nahm derart
überhand, daß ich schon geneigt war, Einhalt zu gebiten.
Motorisierter Massenmord zu Lande, zu Wasser und in der Luft.
Städte und ihre Einwohner, die binnen kurzer Zeit vom Feuersturm
dahingerafft wurden. Kriege, die sich nicht mehr auf eng
umgrenzte Territorien beschränkten, die nun weltweit um sich
griffen. Einer davon wurde mit der fürchterlichsten Waffe
beendet, die jemals in den Händen intelligenter Wesen entstanden
war: Der Kernspaltung.

Sollte, konnte, durfte ich da noch tatenlos zuschauen?
Meine Aufgabe bestand im Observieren. Jegliches eingreifen
in die natürliche Entwicklung einer Spezies stand unter
einem strengen Verbot. Aber war das noch eine natürliche
Entwicklung? allzu rasch wurden auf den beiden
Großkontinenten so viele Kernwaffen entwickelt, um damit das
Leben auf dem gesamten Planeten mehrfach zu vernichten. Und
es war abzusehen, daß die Masse von spaltbarem material
ausreichen würde, den globus in eine Minisonne zu
verwandeln. Mußte ich es so weit kommen lassen?

Die jüngste Auseinandersetzung ging um fossile Rohstoffe.
Ein Wahnwitz, dieses begrenzt vorkommende Material weiterhin
zum Verbrennen und Betreiben von Fahrzeugen und
Flugmaschinen zu vergeuden und damit das atmosphärische
Gleichgewicht des Planeten zu gefährden. Mit fadenscheinigen
Argumenten wurde ein machthaber, der über reichliches
Vorkommen des begehrten Stoffes verfügte, überfallen und
sein Land besetzt. Die folge war ein allmählich ausufernder
Krieg, worin immer mehr Nationen verwickelt wurden. Wieder
drohte die massive Gewalt derart zu eskalieren bis hin zu
einer nuklearen Auseinandersetzung.

Jetzt konnte ich nicht mehr an mich halten.

Auf allen Seiten des Erdballs starteten Raketen mit
Kernsprengköpfen. Auch ich startete. Und ich griff entscheidend
ein.

Nach meiner fünften Erdumrundung war die Erde nicht mehr
wiederzuerkennen. Es gab keine Waffen mehr. Es gab keine
Technik mehr. Es gab nichts mehr, was in irgendeiner Weise
etwas mit Metall zu tun hatte. Die Steinzeit war
zurückgekehrt.

Der irdische Krieg hatte nicht stattgefunden.

So dachte ich. Aber ich hatte meine Rechnung ohne die Schlauheit
dieser Spezies gemacht. Gut, sie war samt und sonders ohne
jeglichen Verlust in das vorindustrielle Zeitalter zurückversetzt
worden. Aber war sie deswegen waffenlos?

Es brauchte eine Weile, bis sie sich auf die früheren Fähigkeiten
besann. Steinwerkzeuge. Steinmesser. Steinäxte. Messer? Äxte?
Waffen!

Alles begann wieder von vorn. marodierende Horden.
Zusammengetrommelte Heere. Eroberungskriege. Hingemetzelte
völker, Plünderungen. Vergewaltigte Frauen.

Der irdische Krieg ging weiter, wenn auch auf einer primitiveren
Ebene. Aber nichts desto weniger blutig.

Ich konnte es nicht mehr ertragen und bat um Versetzung. Ließ
einen zwar wunderschönen Planeten zurück, auf dem leider
babarische Völker den tod regierten.

Nun beobachte ich einen Wüstenplaneten. Auf ihm entwickelt sich
das Leben zwar sehr langsam und es wird noch ein oder zwei
Galaxen-Umdrehungen dauern, bis auch hier intelligentes Leben Fuß
fassen kann. Aber ich habe die Hoffnung, daß es friedliche Wesen
sein werden, die um ihr nacktes Dasein ringen müssen.

(c) HE April 2003

 



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