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Hanno Erdwein

TIMEVISION (oder: Die Zeit-Hacker)

 

Mit leisem Zischen schließt sich die Schleuse. Thorwald dehnt und reckt sich, um den Luftstrom von allen SEiten wirken zu lassen. Gleichzeitig mit dem Gong erscheint auf dem Display die Meldung: DEKONTAMINIERT. Er seufzt. Für ihn ist diese Prozedur jedesmal nach dem Spielen im Freien totlangweilig. Auch der hermetisch schließende Schutzanzug, in dem er immer noch steckt, gibt nicht die Bewegungsfreiheit, die sich ein vierzehnjähriger Junge beim Herumtoben wünscht. Er weiß zwar, daß es notwendig ist.

Giftstoffe und Strahlung trägt der ständige Mistral von einer Seite des Kontinents zur anderen. Auch der Sonnenschein, den er so liebt, ist nicht ganz ungefährlich für die Haut. Aber lästig, elend lästig ist so eine Verpackung! Heftig zippt er den Anzug auf und steigt heraus. Dann nimmt er den Helm und die Gesichtsmaske ab. "Puh, das tut gut!", stöhnt er und rubbelt sich mit einem Handtuch die Wangen, bis sie rot glühen. "Jetzt was essen!", befiehlt er sich und erhält aus dem Magen knurrenden Beifall. Gleich hinter der Innenschleuse blitzt ein weiteres Display auf: HI THORWALD, SIND BIS HEUTE ABEND UNTERWEGS. GENUG ZU ESSEN BEIM SERVER. MACH KEINE DUMMHEITEN! DEINE ELTERN.

"Pah, Dummheiten!", brummt er und dreht dem Display den Rücken zu, das darauf gleich dunkel wird. "Die denken immer noch, ich wär ein Baby." Mit leichtem Schwung nimmt er rittlings auf einem Stuhl Platz und schnalzt mit der Zunge. Auf der gegenüberliegenden Wand erscheint ein helles Quadrat. "He, Server, rück deinen Speiseplan raus!", fordert Thorwald. Schon huscht eine mehrspaltige Listeüber die Bildfläche. "Hmmm", überlegt der Junge, "Fish and Chips, nö, hatten wir gestern, Seelachs auf Thymian, brrr!, gesülzter Dorsch, äähh, ekelhaft! Hör mal, du Kochkünstler, hast du keine Big Toms?", fragt er ärgerlich. Die glänzenden Stahlarme des Roboters machen eine hilflose Bewegung und seine sanfte Stimme erklärt: "Big Toms sind dem jungen Herrn verboten." "Quatsch, verboten", braust Thorwald auf, "alles was gut schmeckt ist verboten. Ausgerechnet Big Toms, die ich so mag! Scheiß Kochkünstler! Scheiß Essen. Jetzt will ich gar nichts! Halt deinen gesülzten Thymian-Fraß für dich und erstick dran!" "Wie der junge Herr es wünscht." Der Roboter schweigt und das helle Quadrat verschwindet. Eine Weile bleibt Thorwald sitzen und klopft mit zwei Fingern einen Rhythmus auf die Stuhllehne während er überlegt, was er beginnen könnte. Da sind zwar noch Schularbeiten von einer ganzen Woche in der Mailbox. Aber wer wird arbeiten wollen, wenn die Wohnung endlich einmal "Sturmfrei" ist?! "Ja, sturmfrei! Das ist es!", jauchzt er und springt von dem Stuhl hoch. Er rennt durch zwei Türen, die sich automatischöffnen und schließen, in das "Allerheiligste" seines Vaters. Die Einrichtung ist ihm zwar vertraut, doch es ist ihm strengstens untersagt, hier allein einzudringen, geschweige denn, die komplizierte Apparatur zu bedienen. "Pah, kompliziert!", knurrt er verächtlich. Schließlich steht ein ähnliches, wenn auch ungleich schwächeres System in seinem Zimmer. Auf einen Wink wird die Decke taghell. Rot leuchtet auf der gegenüberliegenden Wand die Frage: PASSWORT? Thorwald grinst. "Lotos", sagt er jubelnd. Vater hätte ihn sicher für diese Frechheit georfeigt. Aber erstens weiß er nicht, daß sein Sprößling das Paßwort erlauscht hat und zweitens ist der mit Mutter auf der Mondbasis beim Cyberty-Fest. "Na, dann mal viel Spaß auf Luna!", kichert er und läßt durch Handzeichen einige Menüs über die Wand flimmern. Rasch findet er, wonach er gesucht hat.

INTERSTELLARE NETZE
-------------------
(1) WEGA
(2)SIRIUS
(3) CAPELLA
(4) ATAIR ...

"Sirius, Knoten 5, Nummer 79831", verlangt der Junge. Die Wand wird für eine knappe Minute dunkel. Thorwald schließt die Augen und stellt sich vor, wie der Ruf mit Überlichtgeschwindigkeit Richtung Sirius-System abgeschickt wird. "Ist schon enorm, diese Technik", murmelt er bewundernd. Und schon senkt sich ein Lichtvorhang von der Decke herab und wird gleich zu einem dreidimensionalen Bild. "Hi Thorwald!" Ein sommersprossiges Mädchen grinst ihm entgegen. "Hi Elfi!", antwortet er nicht mehr ganz so keß und selbstsicher, wie er die Sache begonnen hat. "Na, du Schlingel. Spielst wohl mit Papas HYPERCOM, was? Wenn dein Alter das spitz kriegt, gibts Dresche!" Die Augen des Mädchens glitzern vor Spottlust. "Ach was", schwindelt Thorwald, "mein Dad hat mir das erlaubt. Ich darf alle Funktionen bedienen!" "Ach nee, alle Funktionen? Wirklich?! Das glaubt dir kein Mondkalb!
Was ist denn mit TIMEVISION? Du wirst mir doch nicht erzählen wollen, daß du da auch rein darfst?!" "Klar, darf ich, mit allen Sonderrechten!" Die Augen des Mädchens werden dunkel. Böse erwidert sie: "Verdammter Lügner! Such dir andere, denen du das erzählen kannst!" Langsam hebt sich der Lichtvorhang und verschwindet Richtung Decke. "Weiber!", empört sich der Junge.

Lange braucht er nicht über das Erlebte nachzudenken; denn die Stimme des Servers meldet: "Nachrichten für sie, junger Herr. Soll ich sie in den aktuellen Raum schalten?" "Her damit!" Thorwald lümmelt sich in Vaters bequemsten Sessel und schnippst die Videowand an. HI THOR, KOMMEN ZU DIR RUEBER, DENKEN, BRAUCHST GESELLSCHAFT. JOERG, KARSTEN UND BENNIE.

Die Besucher lassen nicht lange auf sich warten. Gleich darauf summt es vernehmlich und die drei springen aus der Schleuse. "Na, du Hüter des heimischen Herdes!", spottet Carsten. "Was treibt man denn so?" "Ooch, nichts besondres", prahlt Thorwald, "hab nur mal gerade mit Elfi auf Sirius gechattet." "He, Sirius? Spinnst du?", fragt BEnnie ungläubig, "dafür Brauchst Du doch Sonderrecht!" "Hab ich", wirft sich Thorwald in die Brust und grinst unverschämt, "kenn doch das Paßwort von meinem alten Herrn." "Oh, das weißt Du?! Ist ja toll! Mann, dann können wir ..." "Dann können wir ja ..." "Klar, das können wir!" Die vier sehen sich verschwörerisch an und ihre Mundwinkel wandern vergnügt bis hinauf zu den Ohrläppchen. Schon hocken sie nebeneinander auf der Aktionsbank und taxieren die Tasten, Knöpfe und Lämpchen der Apparatur. "Käm ich nie mit zurecht", gibt Bennie zu. "Sieht schlimmer aus, als es ist", tröstet ihn Carsten. "Im neunten Schuljahr sitzt jeder zweimal in der Woche vor so'nem Schaltkasten. Kenn mich so ziemlich aus." "Ich auch", brumt Jörg und Thorwald beeilt sich, hinzuzufügen: "Klar, hab auch schon damit hantiert." Den zweifelnden Seitenblick des um gut ein Jahr älteren Carsten ignoriert er geflissentlich. Statt dessen fragt er forsch: "Und nun Leute?" "Wie wär's mit Cyberspace?", schlägt Bennie vor. "Cyberspace", gähnt Jörg. "Ist die Zeit zu schade für", meint auch Carsten und Thorwald nickt zustimmend. "Aber was haltet ihr von TV?", grinst der Älteste."Au ja, Timevision!", kommt es freudig von allen Seiten. "Na, dann wollen wir mal ...", räuspert sich Carsten unternehmerisch und legt zwei Schalter um. Die Wand hinter der Apparatur wird in voller Breite hell. Rote Feuerräder jagen darüber hin und ein durchdringender Sirenenton rast die Tonskala rauf und runter."Die Zulassung! Rasch!", überschreit Carsten den Lärm und sieht Thorwald beschwörend an. Der zuckt hilflos mit den Achseln. "Was, du weißt die Zulassung nicht?!" Die Augen des großen Jungen funkeln agressiv. "Hmmm, ääh, Lotos, denk ich ..." "Idiot", brüllt ihn der andere an, "das ist doch das Paßwort! Die Zu-las-sung für TV brauch ich. Und ein wenig fix, wenn ich bitten darf, sonst blockiert sich das System selbsttätig und Deine Alten bekommen Ärger!" "Scheiße", murmelt Thorwald in sich hinein."Was sagst du", fragt Carsten, "ich versteh nicht." Plötzlich springt Thorwald auf und kreischt: "Ich glaub, ich habs. Es war irgendwas mit einem Nebel und einem Frauennamen. Irgend so eine Galaxie, die in einem Sternbild steckt. "Andromeda", feixt Jörg,"ziemlich häufig verwendetes Schlüsselwort. Dein Oller soll sich mal was originelleres ausdenken." "Stimmt, bestätigt Carsten,"aber für uns ist es ein Glück, daß er nicht zuviel Phantasie darauf verschwendet hat." Seine Finger huschen über die Tastatur und geben den Schlüssel ein. Prompt verstummt der Krach und der Bildschirm beruhigt sich ebenfalls. "Na, siehste wohl!" Die Hände des Jungen springen über die Tastatur und entlocken der Wand Menü auf Menü. "Wo wollen wir denn mal hin. Vorschläge Leute!" Die drei übrigen sehen sich hilflos an. Jetzt, wo das Tor zur Zeit offen steht, hat niemand einen gescheiten Einfall. "Also lange bleibt der Kanal nicht auf", warnt Carsten, "nach drei Minuten fliegen wir wieder raus. Und ob ich ihn dann noch mal auf bekomme, weiß ich nicht. Na, los, ihr steckt doch sonst voll verrückter Einfälle!" "Fahr doch mal dreitausend Jahre zurück", kichert Jörg. "Ich würde gern mal dem ollen Zuse über die Schulter sehen." "Tststs", macht Bennie, "oller Zuse, wie respektlos sprichst du vom Gründer der Cyberty?" "Ja und vonwegen dreitausend Jahre, da mußt du noch gut fünfhundert dazu tun. Schließlich leben wir im Jahr 5521, oller Mathemuffel!", räsoniert Thorwald. "Gut, das ist ein Ziel. Fahren wir in das Jahr 2000." Carsten gibt die Daten ein und lehnt sich zurück. Die Wand öffnet sich. Landschaft entsteht dreidimensional aus einer Perespektive, wie sie Astronauten in einem Raumschiff geboten wird. Die Hand des Jungen greift nach einem kleinen Stab, den er spielerisch hin und her bewegt. Dadurch verändert sich der jeweilige Blickwinkel, als wende sich die Position des Betrachters nach dieser oder jener Seite. "Wo sind wir?", fragt Bennie. "Ist das Zusien?", wundert sich Thorwald zweifelnd. Jörg erklärt: "Also damals hieß das noch Eurasien und sah völlig anders aus als heute." "Da gabs hier noch Urwälder, glaub ich", weiß Thorwald großspurig. "Urwälder in Zusien ... pardone, Eurasien? Wohl kaum", zweifelt Jörg. "Stimmt", bestätigt Carsten.

"Das Leben spielte sich zwar im Gegensatz zu unserer Zeit oberirdisch ab. Aber die Grünflächen waren damals schon stark reduziert. Paßt auf, ich fahr mal näher ran!" Der Stab in Carstens Hand beschreibt mehrere kleine Kreise. Daraufhin rückt der Doppelkontinent auf die BEtrachter zu und in atemberaubender Geschwindigkeit stürzen sie dem Grund entgegen. Bennie und Thorwald schließen erschrocken die Augen. Jörg zwinkert ein paarmal heftig, um der Übelkeit Herr zu werden. Nur Carsten steuert suverän mit dem Stab die Richtung. Ein Spinnennetz dünner Fäden kommt in Sicht. "Das sind Straßen", erklärt der große Junge. "Die gibt es heutzutage im Zeitalter der Transmitter nicht mehr. Damals verbanden sie sämtliche Wohneinheiten untereinander." Bennie und Thorwald bekämpfen die Panik undöffnen ihre Augen. Unregelmäßige Flecken sind an manchen Kreuzungspunkten der Straßen-Fäden zu erkennen. Carsten richtet seinen Aktivator auf einen recht großen Klecks und drückt den Knopf. "Berlin, Hauptstadt Deutschlands, Sitz der Administration seit ...", leiert eine elektronische Stimme herunter. "Da wollen wir aber nicht hin", murmelt der Junge und sucht mit der Spitze des Stabes in westlicher Richtung herum. Nach "Hannover","Münster" und "Dortmund" hören die vier plötzlich "Borken, Zentrale Generalverwaltung der CybertY, gegründet 2030 von Arnold Zuse ..." "Na endlich", stöhnt Jörg. "Nichts wie hin." Unter der Spitze des Stabs wächst der Fleck rasch heran und füllt die gesamte Bildfläche. Einzelheiten sind schon erkennbar. "Was sind das für merkwürdige Kästen?", fragt Thorwald. "Man nannte das damals Häuser", erläutert Jörg. "Menschen wohnten darin. Die durchsichtigen Flächen dienten dazu, Licht rein- und den Blick rauszulassen." "Also gab es schon Television?", wundert sich Bennie. "Nicht so perfekt wie bei uns", gibt Carsten zu bedenken."Die durchsichtigen Scheiben, man nannte sie Fenster, zeigten ohne jede Elektronik die Umgebung." "Och, wie primitiv", meint Thorwald verächtlich und erhält einen strafenden Blick von Carsten. "Ich wäre vorsichtig mit solchen Äußerungen", sagt der große Junge streng. "Jedenfalls lebte ein Großteil der Menschheit zu jener Zeit noch in einer halbwegs intakten Umwelt, was heutzutage nicht mehr der Fall ist. Seht mal das viele Grün ringsum!" Inzwischen ist der Blickwinkel der Betrachter auf Straßenniveau angelangt. Bäume und Rasenflächen sind für die vier ein ungewohnter Anblick. Zu dem dreidimensionalen Bild ist nun auf der Realbasis auch der Ton und das Geruchsspektrum hinzugekommen. Durch kleine Druckluftventilatoren wird jede athmosphärische veränderung authentisch vermittelt. "Igit! Was riecht hier so?", beschwert sich Thorwald. "Weiß nicht", brummt Carsten, der den scharfen Geruch nach Landwirtschaft ebensowenig kennt wie die anderen drei. "Das ist immer so", erläutert Jörg,"eine andere Zeit riecht auch anders. Nach ein paar Minuten hat man sich an den Geruch gewöhnt." Inzwischen hat Carsten den Aktivator auf ein besonders auffälliges Gebäude gerichtet."Cyberty Generalniederlassung" quäkt es aus dem Lautsprecher."Genau da wollen wir hin", grinst Thorwald. Eine Bewegung des Stabs und die Hauswand verschwindet vor ihren Blicken. Carsten geht voran, geht mitten hinein in das 3-D-Bild, das heißt, das Bild baut sich um die vier Jungs herum auf. Sie stehen in einem Raum mit Schreibtischen und Regalen. Zwei der Schreibtische sind besetzt. "Ich werd verrückt", ruft Thorwald, "das sind ja Arnold Zuse und Boid Middelsmith!" "Was hattest du denn gedacht", knurrt Jörg, "Cäsar und Napoleon?!" "Na, dann schau ihm mal über die Schulter, das wolltest du doch!", fordert Carsten Jörg auf.

Scheu, als könnten seine Schritte gehört werden, nähert sich der Junge dem Tisch des System-Gründers. "Nur Mut!", lacht Carsten,"man kann dich weder sehen noch hören!" Über den Bildschirm jagen Zeichen dahin, die für die vier unverständlich bleiben."Verstehst du das?", fragt Jörg und dreht sich nach Carsten um."Hmmmm, nur schwer. Sind ganz andere Symbole, als die, die wir heute verwenden. Wenn ich das richtig verstehe, geht es um ein Ereignis, das man mit CEBIT bezeichnet. Die CybertY soll dort durch eine Abordnung repräsentiert werden." "Mann, ist das langweilig hier!", mault der Jüngste. "Gibt's nichts spannenderes, das wir tun können?" "Also, ich find das schon interessant genug", erwidert Carsten und blickt umher. "Aber wenn ihr wollt, machen wir was anderes." Erwartungsvoll schaut er in die Gesichter seiner drei Gefährten. "Na, wo bleiben die Vorschläge?" "Können wir nichts verändern?", fragt Thorwald und grinst von einem Ohr zum andern. Carsten runzelt die Stirn.
"Können schon", meint er nachdenklich, "beim Status deines Vaters sind Manipulationen erlaubt." "Ist ja galaktisch!", freut sich Bennie. "Ich weiß nicht", zögert Carsten, "die Sache ist höchst gefährlich." "Ach was, gefährlich!", wirft Thorwald verächtlich hin. Wir brauchen ja nicht gleich die Zeitgeschichte umzukrempeln. Ein kleiner Eingriff, nur um zu gucken, was daraus wird, ja?" Carsten sieht Jörg an, seine Meinung einzuholen. "Na ja", meint der, "eine unbedeutende Kleinigkeit könnten wir schon anstellen." "Ok", seufzt Carsten, "Von mir aus. Und was soll das sein?" Gespannt sieht er zu, wie die drei Freunde sich ansehen. Plötzlich lacht Bennie laut auf. "Ich hab's!" Er prustet los und kann sich eine Weile nicht beruhigen. "Ja, nun sag schon", drängeln die andern. "Sport", keucht der Kleinste. "Ihr wißt doch, Sport ist das Ekelhafteste, was es gibt." "Na und?", will Jörg wissen, "willst du alle Sportgeräte vernichten? Dann hast du was zu tun." "Blödsinn", ärgert sich Bennie, "ich laß den Typen verschwinden, der den Sport so wichtig gemacht hat." Thorwald pfeift zwischen den Zähnen. "Ich weiß, wen du meinst." "Klar", meldet sich auch Jörg, "wir sollen also den Turnvater Jahn auslöschen? Das willst du?" "Genau", strahlt BEnnie. "Diese langweiligen Freiübungen, ekelhaft! Und nur, weil dieser Jahn einen Sportfimmel hatte!" "Aber das ist nicht so einfach, wie du dir das vorstellst", dämpft Carsten die Freude des Kleinen.

"Einen Mord dürfen wir nicht begehen. Das verstößt gegen alle Konventionen und Thorwalds Vater würde nach Pluto deportiert, um in den Uranminen zu sterben." "Quatsch, wer redet von umbringen? Ich will ihn erst gar nicht existieren lassen. Seine Existenz einfach löschen, bevor er ..." "Hi, stimmt", lacht Jörg, "so gehts. Wir löschen einfach den Eintrag im Stammregister." Nach anfänglichen Bedenken willigt Carsten ein.

Mit Hilfe des Cyberty-Lexikons erfahren sie, wann und wo Turnvater Jahn geboren wurde und machen sich räumlich und zeitlich auf den Weg. Sie dringen weitere 252 Jahre in die Vergangenheit vor und landen in einem Ort namens Lanz."Eigenartige Bauten", kommentiert Jörg die Umgebung. Der elektronische Wegweiser leitet sie zu einem unscheinbaren Haus, das sich Bürgermeisteramt nennt. Eine Weile irren sie in den Wohnräumen umher, bis sie das richtige Zimmer gefunden haben. "Wo sind denn hier die Computer?!", wundert sich Thorwald. Carsten grinst. Gibt es zu dieser Zeit noch nicht, nicht mal elektrischen Strom.." "Und jetzt?", fragt Bennie enttäuscht, "wird jetzt nichts aus meinem Plan?" "Mal sehen." Carstens Stab läßt einen dickleibigen Folianten nach dem anderen aufspringen. Mühsam entziffert er die handschriflichen Einträge:. "Jacker, Jacobson, Jahn ... na, wer sagts denn." Mit einem Stoß des Aktivators fixiert er die Seite des Folianten. "Jahn, Friedrich Ludwig, geboren 11. Augusst 1778", liest er vor. "Das muß heute vormittag hier eingetragen worden sein. Gut, löschen wirs aus." Der Aktivator schnurrt über die Zeilen und läßt die Schrift verschwinden. "Meinst du wirklich", zweifelt Jörg, "wenn wir die Schrift löschen, daß auch die Person verschwindet?" Carstens Blick verweilt einen Moment auf Jörgs Gesicht. "Theoretisch magst du recht haben", gibt er zu, "aber praktisch ist jeder tot, dessen Personalien nicht ordnungsgemäß registriert sind." Damit tippt er das Buch an, das wie von Geisterhand geschlossen wird.

"Zufrieden", fragt Carsten und dreht sich nach Bennie um. Aber hinter ihm steht kein Bennie. "He Bennie! Wo hat der Kleine sich versteckt?" Die drei schauen hinter jeden Schreibtisch. Bennie bleibt verschwunden. "Herrjeh!", ruft plötzlich Jörg, "das darf doch nicht wahr sein!" Carsten und Thorwald starren Jörg an. Ganz langsam fragt Carsten: "Du willst doch wohl nicht behaupten wollen, daß Bennie ..." "Genau das", bestätigt Jörg, "er ist ein direkter nachfahre. Der Blödmann! Das hätte er doch wissen müssen!" "Aber er heißt doch John und nicht Jahn", wundert sich Thorwald. "Lautverschiebung", brummt Carsten, "gibt es häufiger nach etlichen Generationswechseln. Aber auch das hätte ihm klar sein müssen." Thorwald beginnt brüllend zu lachen. "Der hat sich selbst ausgelöscht! Der hat sich aus der Geschichte getilgt! Das ist der beste Witz des Jahrhunderts!" "Den erzähl mal deinem Vater", schlägt Carsten ernüchternd vor.

Die drei trotten bedrückt aus dem Bürgermeisterhaus und kehren in ihre eigene Zeitebene zurück. "Und jetzt?", fragt Jörg, "was können wir tun?" "Nichts", erwidert der große Junge resigniert, während seine Hände mit Knöpfen und Schaltern beschäftigt sind, das Timivisi auszuschalten. Anschließend schleichen sie rüber ins Wohnzimmer und setzen sich, als wäre nichts geschehen, an den Tisch. "Ich könnt was trinken", räuspert sich Thorwald nach einer Weile. "He, Server, drei Mango-Colas!" "Gute Idee", lobt Jörg,"könnte aber auch 'nen Happen vertragen. Wie wär's mit Big Toms?" Thorwald grinst säuerlich: "Sind gestrichen. Meine Alten meinen, die wären nicht gut für mich. Ich kann dir gesülzten Dorsch oder Seelachs auf Thymian empfehlen." "Die zieh dir mal selber rein." Jörg verzerrt angeekelt den Mund. Die Arme des Servers schwenkenüber den Tisch und stellen Gläser ab. Die beiden Jüngeren stürzen das Getränk in großen Schlucken hinunter. Carsten rührt sein Glas nicht an. Mit hängenden Schultern hockt er da und starrt düster vor sich hin. Offensichtlich macht er sich Vorwürfe."Mann, Carsten! Take it easy!" Thorwald schlägt dem Älteren kamaradschaftlich auf die Schulter. Der aber blickt ihn nur finster an um dann wieder starren Auges vor sich hinzugrübeln. Die beiden andern zucken gelangweilt die Achseln. Ihnen ist unverständlich, daß sich ihr Freund die Sache so zu Herzen nimmt. Die Geschichte ist nun mal passiert. Gut. Die Erwachsenen werden es schon glattbügeln. Und so verdrängen sie erfolgreich das Problem und stürzen sich in ein Spiel Black Jo gegen den Server, bis die Signalleuchte aufblinkt und anzeigt, daß jemand die Schleuse betritt."He, da kommen Deine Alten nach Hause", meint Jörg mit belegter Stimme. Auch Thorwalds Gleichmut gerät ins Wanken. Beide sind ein wenig blasser geworden. Carsten setzt sich gerade hin und sieht den Dingen mit grimmiger Entschlossenheit entgegen. Die Türe schwingt auf und Thorwalds Mutter kommt kreidebleich heraus gefolgt von ihrem Mann, der besorgt ihren Arm stützt und kurz zu den Kindern hinübergrüßt. "Oh, diese Transmitter!", seufzt sie und hält sich den Kopf. "Mich bringen keine zehn Server mehr nach Luna!" "Leg dich ein Stündchen hin", rät Thorwalds Vater, "dann gehts dir gleich besser. Im übrigen war es doch ein gelungenes Fest auf dem Mond. Was mag das die CybertY wieder mal gekostet haben?!" "Jaja, es war nicht übel", gibt sie zu und steuert in Richtung Schlafzimmer, "wenn nur nicht diese Transmittersprünge wären! Einen laß ich mir ja noch gefallen - aber gleich fünf!" Stöhnend hält sie sich am Türrahmen fest. "Du bist nun mal empfindlich ..." "...empfindsam, bitte!", wirft sie augenblitzend ein. "Gut, empfindsam, wenn du das lieber hörst. Nimm ein oder zwei Deterdin und ruh ein Stündchen, ja Liebes?" "Mach ich", haucht sie und verschwindet im Schlafzimmer."Na, ihr Marsflöhe", wendet sich der Heimgekehrte an die Kinder,"habt ihr euch gut unterhalten?" "Klar Paps!", strahlt Thorwald in gespielter Unschuld. "Herr Sonderhoff", meldet sich Carsten, bevor ein anderer es verhindern kann. "Ich muß ihnen eine große Dummheit gestehen..." Thorwalds Fußspitze knallt unterm Tisch gegen Carstens Bein und Jörg schüttelt verständnislos den Kopf."Wir haben ihr Timevisi benutzt." "Was habt ihr?" Vor Verblüffung vergißt der Erwachsene den Mund zu schließen. "Ja, aber ... aber ... das Paßwort, der Schlüssel?" "Haben wir herausbekommen. Sie hatten es uns leicht gemacht, weil Andromeda häufig verwendet wird. Wir sind dann ..." "Hoffentlich habt ihr nichts angestellt!", unterbricht Thorwalds Vater den Jungen. "Ihr wißt ja, wie gefährlich Manipulationen sind!"

Nervös stürzt er in seinen Arbeitsraum. Die drei folgen ihm mit Herzklopfen. "Wir haben aber leider etwas verändert, Herr Sonderhoff", gibt Carsten tapfer zu. "Und durch die Manipulation ist Bennie plötzlich verschwunden." "Ach ja, Bennie! Wunderte mich schon, über den vierten Schutzanzug in der Schleuse. Ja um Zuses Willen! Was habt ihr denn bloß gemacht?" In knappen Sätzen berichtet Carsten ihren Streifzug durch die Vergangenheit und läßt auch das Amtszimmer in Lanz nicht aus. "Bei Zuse!", flucht Herr Sonderhoff, der sonst den Namen des Gründers der Cyberty nur mit höchstem Respekt in den Mund nimmt, "da habt ihr mich ganz schön in Schwierigkeiten gebracht. Jetzt heißt es Beeilung, bevor das Veränderte konstant wird und sich niemand mehr an Bennie erinnern kann!" Nach einem kurzen Blick auf den Realtimer jagen seine Hände über Knöpfe und Schalter. Wieder hetzen die Bilder wie ein Spiralrad vorbei. "Welches Datum war das?", erkundigt sich der Erwachsene und fixiert den Aktionsstab für die Programmierung. "11. 8. 1778", meldet sich der große Junge mit belegter Stimme. In schwindelerregendem Tempo stürzt das Bild der Erde auf die Betrachter zu. Die Hand des Profis holt aus dem Aktionsstab ganz andere Möglichkeiten heraus. Mit einem unauffälligen Drehen des Handgelenks stehen sie bereits wieder in jener staubigen Stube und Carsten deutet schuldbewußt auf den braunen Folianten, in dem er den Eintrag gelöscht hat. Thorwalds Vater wirft einen kurzen Blick auf den Echtzeitchronometer an seinem Handgelenk. "Vierzig Sekunden noch", murmelt er und macht sich ans Werk. Mit hilfe des Stabs öffnet sich das Buch bei der richtigen Seite. Unter dem Energiestrahl kommt langsam Buchstabe um Buchstabe wieder zum Vorschein. Es dauert quälend lang. Aus dem Augenwinkel sieht der Erwachsene die Sekunden dahinrasen. Die drei Kinder halten den Atem an. ... 57 ... 58 ..."Geschafft!", freut sich Horst Sonderhoff und läßt die Deckel des Buchs wieder zuklappen. "He, habt ihrs?", kräht die helle Stimme Bennies in die Stille. "Ist der olle Jahn getilgt?" "Und du, sein soundsovielter Urenkel, gleich mit ihm", grinst Jörg. "Jaja, die lieben Familienbande", kommt Carstens Stoßseufzer. Jetzt erst sieht der Kleine den Erwachsenen, der sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn wischt. "Aber wie kommt ...?", will Bennie verwundert fragen, da nimmt Thorwalds Vater die Hand des Jungen und zu fünft kehren sie durch Zeit und Raum in die Gegenwart zurück. "Wer mag Big Toms?", fragt er lächelnd. Die Augen der vier blicken ihn verwundert an. Jeder von ihnen rechnete im Stillen mit einer zünftigen Standpauke. "Eeehm", meldet sich Thorwald, "die sind doch gestrichen!" "Normalerweise ja", bestätigt sein Vater immer noch lächelnd, "aber heute ist eine Ausnahme. Wir müssen doch Bennies Wiedergeburt feiern."

* Ende *

(c) HE

 



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