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Hanno Erdwein


Johns Double

Als Mädchen hat man mich nie ernst genommen. Erst als ich begann, Jeans und Lederjacke zu trragen und mich bei den Jungs mit den knatternden Zweirädern herumzutreiben, war ich daheim. Auch wurde ich nie ein Fan der Pilzköpfe, obschon es später so aussah. Stand eher auf Chuck Berry, Bill Haley und Little Richard. Also mehr die raubeinigen, harten Sachen, so wie mir in späteren Jahren die Stücke von Bob Dylan, Jimmy Hendrix und Deep Purple mehr zusagten als das seichte Rockgesäusel eines in die Jahre gekommenen Elvis.

Der Händler, ein schieläugiger, buckliger Knirps, sah mich gleich so merkwürdig an. Kam ja auch nicht alle Tage vor, dass ein Mädchen nach einer E-Gitarre fragt. "Ich hab da ein paar ganz vorzügliche ...", und er wies in die Richtung der dickbäuchigen Klangkörper. Ich schüttelte eisern den Kopf und zeigte ihm, was ich wollte. Das schlanke Brett stand schon seit Tagen im Schaufenster und lachte mich an. Der Gnom verstand die Welt nicht mehr, seufzte ergeben und strich resigniert meine Scheine ein. "Viel Spaß mit dem Krachmacher", quäkte er mir hinterher. Und durch die staubige Schaufensterscheibe sah ich ihn immer noch fassungslos den grauen Kopf schütteln, als ich schon längst auf der Straße war.

Selten fand ich Sympathie für meine verrückte Art. Auch eckte ich überall an mit meinen provozierenden Ansichten und dem für Mädels unangemessenen Betragen. Mopeds? Yeah! Petticoats? Puh! Jeans waren viel aufregender. Und Stöckelschuhe? Zum Kotzen langweilig. Wären auch höchst unpraktisch, um sich damit auf einen "heißen Ofen" zu schwingen. Statt mich wie gleichaltrige Mädels auf Tanzböden von albernen pickligen Bubis herumschwenken zu lassen, saß ich lieber mit in der Band und bearbeitete mein
Musikinstrument.

Wochenlang übte ich die kompliziertesten Griffe und verdarb es mir mit sämtlichen Hausbewohnern. Aber ich wusste, was ich wollte: Eine eigene Band. Nur Mädels. Mein Vorbild waren die Supremes. Doch ich wollte mehr als die Girls aus Detroit. Harter, handgefertigter Rock sollte es sein, den meine Gruppe auf Bühnen und Schallplatten bringen würde. Seichtes Gesäusel gab es genug auf dem Markt. So dachte ich. Aber - es sollte anders kommen.

Eine Weile zog ich mit einer bunt zusammengewürfelten Truppe umher. Die Jungs machten Augen, als sie mich, Biggie Smith, das erste mal mit E-Gitarre im Arm anrücken sahen. Bis jetzt hatten Mädels nur den Gesangspart übernommen. Zu meinem Glück gewöhnten sie sich aber rasch daran, dass ich auch noch anderes konnte. Zugegeben, meine Singstimme war nicht schlecht. Eher maskulin und leicht angeraut. Aber für meine virtuose Spieltechnik erntete ich mehr Beifall. Wir zogen quer durch das Königreich und landeten schließlich, wie konnte es auch anders sein, in Liverpool, wo damals Rockbands wie die Pilze aus dem Boden schossen. Das war ein harter Konkurrenzkampf. Abend für Abend schweißtreibende Auftritte auf immer anderen Bühnen. Anders ging es nicht, wollte man bekannt werden. Und dann hieß es: "Mensch, geht doch nach Hamburg!" Wir hörten, dass eine damals noch unbekannte Band mit Namen "The Beatles" in der deutschen Hafenstadt ganz gut im Rennen lag. Also rafften wir unser bisschen Kapital zusammen und schipperten über den Kanal.

Hamburg war noch irrer als Liverpool. Hier kamen wir gar nicht mehr zur Ruhe.

Der verrückteste Laden war das Top Ten auf der Reeperbahn. Bis man endlich auf uns aufmerksam wurde und uns erlaubte, dort aufzutreten, galt es, eifrig Klinken putzen. Wer kannte schon die Night Rocker? Allmählich kamen wir dahinter, dass nicht unbedingt gutes Spielen der Schlüssel zum Erfolg war. Show und Publicity standen höher im Kurs. Oft brachte auch ein ordentlicher Skandal den Sprung ins Rampenlicht. Doch das kam für uns nicht in Frage. Dafür waren wir zu gut erzogen.

Ein gutes halbes Jahr hielten wir uns so gerade über Wasser. Dann kam Jeff, unser Drummer, mit der Neuigkeit: "Morgen im Top Ten." Whow! Uns schlackerten mächtig die Knie vor Aufregung. Wir kamen gleich hinter Tony Sheridan und den Beatles. Im Schlagschatten dieser frisch am Starhimmel aufgehenden Supersterne mussten wir ganz einfach verblassen.

Viel zu früh lungerten wir hinter der Bühne herum. Jeff rauchte Gras. Ich hätte auch etwas für meine flatternden Nerven vertragen, traute mich aber nicht an irgendeine Droge heran. Vor den Kulissen tobten die Rattles und machten Stimmung für Tony. Der war noch gar nicht eingetroffen. Sein Manager Ralph lief ein über das andere Mal hektisch an uns vorbei. Noch drei Nummern, dann musste die Truppe verfügbar sein. Und dann kam endlich Sheridan. Stakste mit
übertriebenem Westernschritt durch die Tür, als käme er in einen Saloon. "Alles klar, Leute?" Der Manager rang die Hände: "Die fünf Liverpooler sind noch nicht da." Tony sah sich um: "Wer sind denn die da?" Wies mit seinem kantigen Kinn auf uns. "Die kommen nach euch dran." Der Schotte klemmte sich einen Schemel zwischen die Schenkel und ließ sich ächzend darauf nieder. "Immer der gleiche Stress mit den Pilzköpfen! Nie können die mal pünktlich sein!" Die Tür schwang auf und vier der Vermissten stolperten in den Raum. Sheridan runzelte die Stirn: "Wo ist John?" Harrison grinste: "Liegt noch in der Falle. Hat gestern was zuviel Stoff gehabt." "Und wie stellt ihr euch das vor?" Tony überbrüllte den Rocklärm der Rattles. Die Vier zuckten mit den Schultern. "Na prima! Das ist auch eine Antwort! Aber ich sag euch eins: Da mach ich nicht mit! Vertrag ist Vertrag. Und wenn ihr nicht spurt, dann fliegt ihr achtkantig raus!" Betretenes Schweigen. Wir sechs von den Night Rockern blickten uns vielsagend an. Hübsche Sitten waren das. Tonys Manager kratzte sich am wulstigen Kinn, während seine Augen prüfend umherschweiften. Offensichtlich suchte er nach einer Notlösung. Und als er sie fand, fiel ich aus allen Wolken.

Für wenige Augenblicke verschwand er. Kam an die Tür zurück und schnippte mit den Fingern: "Du da, komm mal mit!" Ich war gemeint. Glotzte ihn aber nur blöde an. "Ja, nun komm schon!" Konnte mir nicht vorstellen, was er ausgerechnet von mir wollte. Aber ich folgte langsam der heftig
gestikulierenden Hand. Er zerrte mich in einen Umkleideraum. Da lagen allerlei Requisiten auf dem Tisch. Seine Augen musterten mich kritisch: "Jeans trägst Du ja schon. Hier, probier das mal." Hielt mir ein sportliches Jackett hin, wie es von den Beatles getragen wurde. Stülpte mir noch eine zottelige Pilzperücke über meinen kurzen Rotschopf. "Nicht schlecht", grunzte er in sich hinein. "Bist ja eher ein Jüngling ..." Sollte vielleicht nicht gerade schmeichelhaft gemeint sein. Aber mich focht das nicht an. Ich kam immer noch nicht dahinter, was das alles sollte. Er kniff prüfend die Augen zusammen und fixierte mich fortwährend. Dann griff er sich noch etwas vom Tisch: "Und die hier noch." "He! Was soll ich denn damit? Meine Augen sind vorzüglich!" "Komm, auf die Nase damit. Und dann dreh Dich mal um." Die Brille saß ungewohnt und merklich schief auf meinem Riecher. Aber als ich in den Spiegel sah, wär' ich fast vor Schreck umgefallen. Da stand John Lennon und glotzte mich blöde aus dem staubigen Scherben an. Ich streckte mir die Zunge raus. Der Manager war zufrieden. "Du spielst Rhythmusgitarre?" Ich gab ihm ein eckiges John- Lennon-Nicken. "Dass du eine gute Stimme hast, hab ich im Weißen Pferd schon gehört." Also daher kannte er uns. Unterzog mich einer nochmaligen Musterung und schlug sich mit der Faust in die linke Hand. "Wir wagen es!" Jetzt erst kam ich drauf, was von mir verlangt wurde. Der Kerl war des Teufels! "Nein!", brüllte ich. "Das bring ich nie und nimmer rüber!" "Quatsch! Du hast Talent genug, hier als John Lennon aufzutreten. Und jetzt mach voran. Die Rattles haben den letzten Titel gleich durch." Stürmte vor mir aus dem Raum. Ich zockelte in seinem Fahrwasser hinterdrein. Mir war kotzübel. Meine Truppe staunte Bauklötze, als sie mich sah. Tony grinste: "Mensch Ralph, das darf doch nicht wahr sein!" Der feixte zurück. Und dann wurde ich unter die Beatles geschoben, die nicht wussten, wie ihnen geschah. Pete Best wollte aufbegehren. Aber der Manager stopfte ihm gleich das Maul mit der Androhung einer Konventionalstrafe, wenn er motzen würde.

Die acht Nummern von Tonys Repertoire hatte ich selbst oft genug gespielt, um nicht zu patzen. Wir bildeten ohnehin nur den Background zu Sheridans Gesangskünsten. Da und dort ein Bisschen Yeah-Yeah und Blabla mit anderen Urlauten vermischt. Das war alles. Wie immer brachte Tony bald den Saal zum Toben. Das feuerte uns mächtig an, so dass wir alles aus uns rausholten. Und endlich kamen die Zugaben. Mir fielen schon fast die Finger ab. Doch dann wollte man zum vierten Mal My Bonny hören. Wir schrieen uns heiser, weil wir den Lärm aus dem Saal übertönen mussten. Tony rann der Schweiß übers Gesicht. Auch wir - die Beatles - jappsten nach Luft. Offensichtlich machte ich meine Sache gut. George Harrison zwinkerte hin und wieder wohlgefällig zu mir rüber. Auch Paul McCartney verzog das Gesicht, als wolle er sagen: Nicht übel, dieser Lennon-Ersatz. Stuart Sutcliffe aber war der einzige, der, als wir uns hinter der Bühne ausdampften, auf mich zu kam und mir dankte. "Biggie, du warst ein wundervoller John." Ich lächelte Stu verlegen an: "Ach was, ich hab nur Dussel gehabt, dass ich die Stücke alle kannte."

An diesem Abend mussten die Night Rocker zu fünft auftreten. Sie ahnten nicht, ... aber dazu komme ich später. Tony und die vier Pilzköpfe schleppten mich erst mal ab. Sein Manager machte sich schon vorher dünn. Pete spottete: "Jetzt geht er zu seiner Tussi. Eine rothaarige Irin." Aber Ralph hatte den Vieren noch eingeschärft: "Seht zu, dass ihr morgen vollzählig seid. Wenn nicht ...!" Und hob drohend die Faust, bevor hinter ihm die Tür ins Schloss krachte. Wir aßen hier einen Happen, tranken dort ein paar Gläser. Und ich musste von mir erzählen. Nun, so ein Mädel war ihnen denn doch noch nicht untergekommen. "John muss dich unbedingt kennen lernen", nuschelte Tony halbbetrunken. Ich wollte nicht. Nein, das wollte ich ganz entschieden nicht! "Komm, Biggie- Maus", säuselte mir George ins Ohr, "das wird der Gag des Abends!" Nach ein paar weiteren Whiskys kriegten sie mich dann doch noch rum.

Wir klemmten uns in ein Taxi. Das heißt, wir wollten. Der Taxifahrer protestierte und fluchte fürchterlich auf uns idiotische Tomies. Winkte einen Kollegen heran, der drei von uns übernahm. Tony zwinkerte Paul zu: "Hast Du's?" McCartney klopfte auf die Aktentasche zwischen seinen Knien. Ich dachte mir nichts dabei. Schließlich hatte jeder irgendein Instrument, von dem er sich nicht mal zehn Minuten trennen wollte. Und dann nahm uns die Empfangshalle eines mittelprächtigen Hotels auf. Mann, das war was anderes als die billige Absteige, in der wir Night Rocker untergebracht waren. Der Empfangschef katzbuckelte vor Sheridan. Ein Liftboy fuhr uns nach oben. Auf weichem Teppichboden füsselten wir zu der Suite des Schotten. Ich kam mir klein und verloren vor, als ich in einem teuren Fauteuil versank. Tony baute sich vor mir auf, nahm Paul die Tasche aus der Hand und zeigte mir den Inhalt. NEIN! Jackett, Perücke, Brille ... Mir wurde schwarz vor Augen.

"Nun komm! Was ist denn schon dabei?" Stu und Pete quetschten mich zwischen sich. Tony öffnete eine Tür. Noch drei Schritte. Dann blieben wir stehen. Mir stockte der Atem. John Lennon starrte mich ebenso entgeistert an wie ich ihn. Eben lümmelte er noch auf dem zerwühlten Bett. Jetzt sprang er auf und ging prüfend um mich herum. Wieder war da das Gefühl, in einen Spiegel zu schauen. Es stimmte. Ich mit Perücke und Brille ... wir sahen uns verdammt ähnlich. Als John seinen Mund endlich zu bekam, räusperte er sich und kam dicht heran. "Kaum zu glauben", murmelte er fasziniert. Schlich nochmals umher und beäugte mich aus
unterschiedlichen Perspektiven. Scheute sich aber, mich anzufassen. Wandte sich endlich an Tony: "Wer ist das?" "Biggie Smith", bekam er zur Antwort. "Ein ... ein ... Mädchen?" Jetzt stand sein Mund wieder für eine Weile offen. Dann ließ er sich lachend auf einen Sessel plumpsen. Tony griff ihn am Arm: "Hör mal zu Du Motherfucker! Biggie hat Dich gedoubelt, sonst wäre der Auftritt geplatzt und wir hätten ganz schön in der Scheiße gesessen. Verstanden?" "Bullshit! Ihr hättet auch mit vier Beatles die Show gemacht." "Eben nicht. Das Publikum ist nicht blöde. Das weiß nur zu genau, wer alles dazugehört." Lennon winkte ab: "Hatte Wichtigeres zu tun." "Wichtigeres!" Tony brüllte los: "Was kann wichtiger sein, als den Vertrag einzuhalten!" "Das hier." John hielt ihm Blätter unter die Nase. Sheridan starrte darauf. "Was soll das?" "Ein neuer Song. Ist heute entstanden. Willst Du ihn hören?" "Fuck yourself! Und komm mir nicht mit so einem Mist!" "Der Song ist wirklich gut. Wird sicher ein Hit. Heisst Love Me Do." Der Schotte warf die Zumutung beidhändig von sich: "Love Me Do. Schnulzen spielen wir nicht. Du wärst besser mit uns aufgetreten." "Ach was!" John wälzte sich samt Schuhen wieder aufs Bett. "Ich brauch Zeit. Hab so viele Texte und Melodien im Kopf. Das muss raus!" Mit langen Schritten umrundete Sheridan den Tisch. "Was soll ich nur mit Dir machen? Du bist so ein verdammt guter Gitarrist und Sänger, dass man schlecht auf dich verzichten kann. Hätte dich sonst schon längst in den Wind geschossen." Wandte den Kopf Richtung Bett, um die Wirkung seiner Worte zu beobachten. John hörte längst nicht mehr zu. Er war wieder mit Kugelschreiber und Papier beschäftigt. "He! Ich rede mit Dir." "Was? Ach so. Sorry - ein neuer Song. Heißt Ask Me Why." "Steck Dir den hinten rein! Ich will Dich auf der Bühne haben und nicht rumfurzender Weise im Bett." Lennon blinzelte über den Brillenrand und zielte mit dem Kuli auf mich: "Ach was! Ihr habt doch jetzt jemanden, der mich vertreten kann."

Eine folgenschwere Aussage. Folgenschwer für die Night Rockers und für mich. War ich schon zuvor nicht die, die ich sein wollte - schließlich träumte ich von einer eigenen Girl Group - so zwang mich jetzt der verrückte Umstand, dass ich John Lennon ähnlich sah, bei den Beatles zu bleiben.

Nach ein paar weiteren Auftritten meinte Stu: "Lass dir die Haare wachsen. Astrid schneidet dir eine Beatles-Frisur und färbt sie ein." Das war mehr als vernünftig. Jeden Abend unter der Perücke schwitzen, das war schon eine Zumutung. So wurde ich, Biggie Smith, zum Ersatz-Beatle.

Ob ich das gerne war? Fragt mich nicht! An einen äußerst heiklen Zwischenfall erinnere ich mich noch genau. Die Fans waren damals schon ganz wild auf die Pilzköpfe. Versetzten den Saal in einen Hexenkessel aus Gekreisch, Getrampel und schrillen Pfiffen. Und das legte sich auch dann noch nicht, wenn wir die Bühne längst verlassen hatten. Besonders angeturnte Mädels suchten in Erwartung erotischer Abenteuer die Umkleidekabinen heim. Was die andern mit ihnen trieben, interessierte mich nicht. Ich hielt mich zurück und suchte in meiner normalen Gestalt unerkannt das Weite. Doch einmal - der Zufall hielt mich länger zurück als ich wollte - rückte mir so ein haschbenebeltes Girl auf den Pelz. Lugte erst vorsichtig durch den Türspalt und sprang dann auf mich los: "John! Liebster John! Nimm mich! Ich liebe Dich! Du kannst alles von mir haben." Ich erstarrte und war vor Entrüstung sprachlos. Die Kleine musste das für eine Zustimmung gehalten haben. Schob sich den Mini hoch und zeigte, dass sie darunter nichts trug. Jetzt wurde es Zeit, etwas zu unternehmen. Ich wusste nur noch nicht was. Mein weiteres Zögern war für das Girl eine Ermunterung. Sie umschlang mich und rieb sich heftig an mir. Ich wehrte mich nach Kräften. Bei dem Handgemenge rutschte mir erst mal die Perücke vom Kopf. Mein eigenes Haar war damals noch nicht lang genug für eine Pilzfrisur. Auch spürte die Kleine, dass mein Brustkorb anders beschaffen war als das zu sein hatte. "Betrug!", kreischte sie hysterisch und rannte mit bloßem Hintern aus dem Raum. "John ist eine Frau", hörte ich sie über den Flur plärren. Rasch rückte ich alles wieder zurecht und lief hinterher. Da und dort öffneten sich schon Türen und neugierige Blicke folgten uns. Ich musste das Biest zum Schweigen bringen, war aber so ausgepumpt, dass ich nicht schnell laufen konnte. Und das Geschrei vom falschen Beatle mobilisierte schon fast das ganze Haus. Endlich kam Tony in Sicht, der uns in den Weg trat. Klemmte sich die zappelnde und plärrende Puppe unter den Arm und wir verdrückten uns in seinen Umkleideraum. "Was soll das? He?" Sah erst mich und dann das Mädel an. "Die da ist nicht John Lennon." Das kam mit Zischen und giftigem Blick. "Du träumst." "Das da ist kein Mann." "Wohl zuviel Hasch gehabt?, Was?" Sheridan drohte spielerisch mit dem Zeigefinger. "Wenn Dich so die Drogenfahnder finden ... und zieh endlich den Rock wieder runter." Die Drohung saß. Musste wohl einigermaßen ernüchternd gewirkt haben. Wir begleiteten dieses halbe Kind noch bis auf die Straße. Sahen, wie sich das Persönchen mehrmals noch umdrehte und verwirrt zurück blickte. "Wär beinah daneben gegangen", stöhnte Tony. "Mein Gott! Warum schließt du Dich beim Umkleiden nicht ein!" Das tat ich dann auch. Zu unser aller Erleichterung hörten wir nichts auf diesen Zwischenfall.

Aus der Rockgeschichte ist sattsam bekannt, dass die Beatles nur eine kurze Zeit mit Sheridan auftraten. Ein eigenes Programm entwickelten. Nach Liverpool zurückkehrten. Rasch populär wurden. Sich später von Pete Best trennten und Ringo Star als Drummer aufnahmen. Stu Sutcliffe blieb in Hamburg bei seiner Freundin Astrid Kirchherr. Sein früher Tod schockierte uns nicht wenig. Somit gab es letzten Endes nur vier Beatles, die immer bekannter wurden. Dass es in Wirklichkeit fünf waren, wussten die Wenigsten. Ich, Biggie Smith, Beatle Nummer fünf, führte ein Schattendasein. Immer dann, wenn es John einfiel, nicht auftreten zu wollen, um an einem neuen Song zu schreiben, zerrte man mich auf die Bühne. Schön, ich verdiente dabei nicht schlecht. Kassierte erheblich mehr Kohle als bei jeder anderen Rockband. Und Spaß machte es mir auch. Was mich dabei störte, war die Tatsache, dass ich stets jemand anders sein musste und nicht ich selbst.

Der Beatle-Ruhm schwappte von Europa nach Amerika und von dort in alle Welt. Beatles-Filme wurden gedreht. Bei einigen Szenen ließ John sich von mir vertreten. Keinem fiel das auf. Beatles bei der Sullivan-Show. Beatles vor der Queen. Letzteren Auftritt ließ sich John nicht nehmen und ging selbst hin. Die Beatles (für viele Girl Fans ein Schock) nahmen sich Frauen. John ließ sich später scheiden und heiratete Yoko Ono.

Die Japanerin mochte mich nicht. Diese Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. Trotzdem durfte ich weiterhin dann und wann ihren Göttergatten doubeln. John hatte mehr zu tun denn je. Er trug sich mit dem Gedanken, die Beatles zu verlassen. Er wollte sich ganz auf Texten und Komponieren zurückziehen. Lange Diskussionen, zu denen ich hinzugezogen wurde, hatten zum Inhalt, ob ich John nicht grundsätzlich ersetzen sollte. "Das wird kein Aas merken", versicherte George, der Beatle, der für alles stets rasch zu begeistern war. Paul schüttelte abwehrend den Kopf und Ringo mahnte: "So ein gelegentliches Einspringen von Biggie ging bis jetzt immer gut. Aber wenn sie ganz in die Rolle Johns schlüpfen soll, muss das eines Tages rauskommen. Und dann ...?" "Dann ist der Skandal da und wir können einpacken." McCartney schlug mit der Hand auf den Tisch, dass es krachte. Harrison sah enttäuscht aus. Er hatte was übrig für mich und hätte mich gern fest engagiert. "Ich werd wohl gar nicht gefragt", beklagte ich mich. Erhielt aber keine Antwort. Ringo stand auf: "Also werden sich die Beatles trennen." Und so kam es, dass auch ich nicht mehr gebraucht wurde.

Wie ich es auch drehen mochte, ich konnte von John nicht los kommen. Eine psychische Abhängigkeit? Jahre hindurch jemand anders sein. Da kann man nicht von jetzt auf gleich das eigene Ich anknipsen.

Als John und Yoko sich in New York niederließen, wechselte auch ich in die USA. Lennons Nimbus zog mich magisch an. Er wusste, oder er spürte, dass ich in seiner Nähe war. Des öfteren sahen wir uns, besprachen diesen oder jenen neuen Rocktitel. Die Treffs hatten wir stets im Grand Central Park.

Auch an jenem Tag, der für die Pop-Welt wohl der schwärzeste werden sollte, hatten wir uns verabredet. "Mensch, Biggie, lass mich noch einmal in mein Spiegelbild blicken." Es war Jahre her, dass ich mich wie John gekleidet hatte. Auch war mir nicht wohl bei dem Gedanken. Wenn uns nun jemand beobachtete. Zwei mal John Lennon? Das würde ein hübsches Schlachtfest für die Presse geben! Auch gefiel mir nicht, mich als John im Park zeigen zu müssen. Weshalb wählte er keinen intimeren Ort? Letzten Endes tat ich ihm den Gefallen dann doch.

Ich war zuerst am Ort und hielt mich hinter einer Hecke verborgen. Es dauerte, bis ich John in der Ferne erblickte. Wollte schon aus meinem Versteck und ihm als Double entgegen gehen. Bemerkte im letzten Moment eine Gestalt, die aus dem Gebüsch gegenüber heraus kam. Der junge Mann war mir schon vorher aufgefallen und ich hatte mich verwundert gefragt, weshalb er immer die gleichen Wege abging. Und wozu dann jetzt dieses Versteckspiel? Ein merkwürdiger Typ, der etwas Lauerndes an sich hatte. John kam in Gedanken versunken näher. Ich blieb erst mal, wo ich war. Behielt den anderen Kerl im Auge, der sich noch einmal verstohlen umsah und hinter einen Baum trat. Was hatte der vor? Alarmglocken begannen in meinem Kopf zu schrillen. Ich wollte John warnen, ihm etwas zurufen. Zu spät. Schüsse krachten. John sank blutüberströmt zu Boden.

Dass ich an Johns Stelle dort liegen könnte, ging mir erst später auf, als ich über alles nachdenken konnte. Und die Erkenntnis löste einen nicht geringen Schock aus.

In meiner Aufmachung ... hätte ich mich da gleich als Zeugin melden sollen? Ein toter John Lennon und jemand, der wie ein lebender Lennon aussah? Einen Skandal provozieren, wo sein Körper noch nicht kalt war? NEIN! Hastig nahm ich Brille und Perücke ab und schlich mich auf Umwegen davon. Hier würde es bald von Polizei und Zuschauern, von Journalisten und Fotografen nur so wimmeln. Das ging mich nichts mehr an.

Der Rest ist Geschichte.

(c)  H. Erdwein  2002


 



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