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Die Praxis für Krankengymnastik ist in vier Kabinen unterteilt. Die Trennung ist eine sehr flüchtige: Sie besteht aus sehr hellen, sehr leichten Vorhängen, die außer Blicken alles passieren lassen: Geräusche (Stöhnen, Schieben, Maschinenbrummen, Tücherrascheln, Schmerzensschreie, Lachen) und Stimmen (therapeutische, kasachische, schwache, helle, bestimmende, klagende, lachende Stimmen).


Den Kabinen vorgelagert ist der kleine Warteraum, eigentlich das Treppenhaus im Bereich des Souterrains. Man betritt es, wenn man sich entscheiden konnte, die richtige der beiden identischen Haustüren zu öffnen. Die naheliegende nämlich ist die ursprüngliche Eingangstür gewesen. Sie wurde für immer geschlossen, weil sie wegen der Praxisumbauten keinerlei Zugang mehr ermöglicht; man liefe seitlich vor die Treppe.


Du musst die linke Tür nehmen! Dann ist es ganz leicht.


Alle haben sich angewöhnt, ihren Eingangsgruß erklingen zu lassen, obschon nie jemand zu sehen ist, dem er gelten könnte. Er wird mit Sicherheit erwidert werden, aus einer der Kabinen heraus. Die Therapeutin grüßt fast immer schon mit dem richtigen Hausnamen zurück. Es ist nicht deutlich, ob sie den Terminplan so genau im Kopf hat, oder ob sie die Stimmen schon am meist unsicheren "Morgen..." erkennt. Das Geheimnis liegt bestimmt in der Kombination der Informationen. Es ist weniger Einfühlung als Erwartung und Termindruck.


Ich warte, während in Kabine zwei (die Nummern sind nirgends anzuschlagen, aber ich kenne sie dennoch) eine Blockade der Halswirbelsäule bearbeitet wird. Lustlos blättere ich in einer BRIGITTE. Die Frauen dort könne sich durch die Bank bewegen, als wären sie aus Gummi. Ärgerlich, irgendwie. So fällt mein Blick auf die Phantomtür. Durch eine mehrfach unterteilte Doppelglasscheibe fällt etwas Licht in den Flur. Zweimal drei quadratische Glasfelder lenken den Blick nach draußen. Fünf der Felder sind statisch besetzt: Grün der Außenanlage (2 Felder), Blech eines Autos (BMW-Blau), Mauerwerk der Garageneinfahrt (klinkerbraun), Holzständer einer Überdachung (weiß).

Im Feld links oben plötzlich Bewegung: Aus der braunen, solide wirkenden Eingangstür eines gegenüberliegenden Einfamilienhauses tritt ein junges Mädchen, schwarz gekleidet, Hose, Pullover, eine Umhängetasche über der linken Schulter. Sie ist blond, trägt das mittellange Haar zusammengebunden. Zunächst ist ihre Bewegung heftig, fast schwungvoll, als wolle sie die im Glas nicht sichtbaren wenigen Stufen hinuntereilen. Dann hält sie inne, bremst sich heftig ab, schreitet vorsichtig voran und hinunter, so dass immer weniger von ihr sichtbar bleibt. Das Gesicht wendet sich jemand zu, der anscheinend auf der Straße wartet, vielleicht in einem Auto. Ein paar Schritte noch, der Pferdeschwanz wippt aus dem Bild.

Von links erscheint jetzt eine Frau mittleren Alters im Rahmen. Sie tritt aus der immer noch offenstehenden Tür und verharrt auf dem Treppenabsatz. Sie trägt einen grauschwarzen Pullover, die braunen Haare sind etwas durcheinander geraten. Auch sie blickt zunächst in Richtung des oder der Wartenden auf der Straße. Sie weiß nicht recht, wohin mit den Händen. Fährt sich durchs Haar, zieht am Saum des Pullovers.

Bis schließlich das Mädchen zurückkommt, jetzt wieder schwungvoll. Sie geht auf die Frau zu, die Tasche immer noch geschultert. Beide stehe sich dann gegenüber. Jetzt legt die Frau beide Hände, endlich, an die Wangen des Mädchens, zieht das Gesicht sehr langsam an sich und küsst es zart. Das Mädchen lässt das nicht nur geschehen, sondern wiegt sich in diese Umarmung hinein. Dann greift sie mit der Linken in die Tasche und zieht etwas heraus; geschickt wirkt das, wie bei einer Taschendiebin, drückt der Frau etwas in die Hand, dreht sich um und rennt zurück auf die Straße.

Die Frau winkt ihr nach, merkt gar nicht, dass sie mit der CD winkt, die ihr das Mädchen gab. Dann geht sie - rückwärts - zum Haus, bis sie im Türrahmen steht. Blickt hastig auf die CD-Hülle, drückt sie an sich, geht in die Knie. Am Boden wird ein graues Hündchen erkennbar. Die Frau rubbelt mit der freien Hand das Fell des Tieres heftig und gleichmäßig ab. Der Hund lässt es geschehen.


Schließlich richtet sie sich ruckartig auf und schließt die schwere Tür sehr schnell hinter sich. In dieser Tür gibt es kein Glas.

"Herr Croll, Sie können dann schon mal durchgehen in die 1!" Ich weiß nicht, ob die Stimme aus der 2, 3 oder 4 kommt.

© Simon Croll 2003 - Ihr Kommentar bitte hierhin

 



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