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Die Kunst des Wanderns
Ein literarisches Lesebuch
Herausgegeben von Alexander Knecht und Günter Stolzenberger
Deutscher Taschenbuch Verlag, Bd. 20030 - ISBN 3-423-20030-8. DM 14,90 -
öS 109,--, 218 Seiten
Literarischer Proviant für den Rucksack
Das Büchlein wiegt 215 Gramm. Der Verlag legt nahe,
es in den Wanderrucksack zu packen. Das will gut überlegt sein.
Die Herausgeber haben die geistige Marschverpflegung in 13 Kapitel
portioniert. Das Lesefutter ist jeweils von erfrischender Kürze
und könnte eine besinnliche Rast durchaus begleiten. Geht es
zunächst um den "Weg", der ja bekanntlich das Ziel auch des
Wanderers sein soll, so werden weiters bewegende "Begegnungen" mit
Erscheinungen der Natur beschrieben. Eine Perle, geeignet für
eine Rast in Sichtweite eines Ameisenhaufens, ist hier die Betrachtung
Mark Twains über die "Hohlköpfigkeit der Durchschnittsameise".
(Der Leser kann sich während der Lektüre gelegentlich
vor Lachen ausschütteln, damit unliebsame Durchschnittsameisen
ihn auf seinem weiteren Weg nicht quälen.) - Wer Landschaftsschilderungen
liebt, kommt in "Ansichten und Aussichten" auf seine Kosten - der
Rezensent hält es hier eher mit Tucholsky, der im originellsten
Kapitel "Wanderer auf Abwegen" schreiben darf: "Was nun die schwellenden
Schilderungen der Sonnenuntergänge betrifft, der Wassersturzbäche
und des Felsengerölls, so habe ich immer das Empfinden, als
langweilte man sich dabei rechtens zu Tode. Ich wenigstens überschlage
solche Absätze in einem Buch stets, und es muß wohl schon
ein sehr großer Stilist sein, wie etwa Stifter, der eine Landschaft
nicht abmalt, sondern neu schafft." (S. 168) Trotz aller Häme:
In "Jenseits des Lärms" zum Beispiel gelingt es den Autoren
(Fontane, Speidel, Giono u.a.), den Fußreisenden darauf achtsam
werden zu lassen, daß "Stille" weit mehr ist als die Abwesenheit
von Lärm. Und folgt man Hesses Einladung und "setzt sich nieder,
wo man will", wird man Muße finden, um "Wind und Wetter" zu
erleben oder den "wahren Geschmack der Heidelbeere" zu verkosten.
Wir mögen Bücher, die uns bestätigen. Der erfahrene
Wanderer wird sich an vielen Stellen erinnert fühlen an beglückende
Ausflüge, die über das bloße Zurücklegen einer
Strecke hinaus gingen und eher "Gedanken-Gänge" oder wunderbare
Gespräche waren. Man glaubt Seume gerne, wenn er sagt: "Im
Gehen geht es besser." Das Wandern ist eine "Erfindung" des 18.
Jahrhunderts, wie das Nachwort der Herausgeber zu erklären
weiß. Der Bogen der Texte reicht daher nur bis dorthin zurück
und in die Gegenwart hinein, wo die Probleme unserer Welt nicht
verschwiegen werden und dennoch sogar der Autowanderer die dringend
nötige Rechtfertigung erhält (Otto Flake). - Eine zeitgemäße
und anregende Zusammenstellung ist hier gelungen, die jedoch besser
vor oder nach der Wanderung genossen werden sollte. Man nehme statt
des Buches ein Notizbüchlein für eigene Beobachtungen
mit. Die gibt es schon mit reichlich Platz schon unter 150 Gramm.
Vorsicht: Die Heftchen bekommen im Laufe der Wanderungen wirkliches
Gewicht, wenn Sie den Anregungen einiger Autoren folgen und Ihre
Eindrücke auf dem Papier hinterlassen mögen.
Simon Croll
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