Hanno Erdwein
Stevensons Schatzinsel
Da setzt sich ein Vater hin und zeichnet mit Feuereifer und hochroten
Wangen die Karte einer fiktiven Insel. Auf diesem imaginären Eiland
haben Seeräuber einen Schatz vergraben.
Klar macht das Vater wie Söhnchen einen Heidenspaß. Aber
nicht genug: Der Vater, er heißt Robert Luis Stevenson, ist so
von der Idee besessen, daß er sich daran macht, der Welt einen
spannenden Abenteuerroman zu schenken.
Die Schatzinsel ist nach wie vor ein Lese-Favorit nicht nur in Kinderhänden.
Erwachsene wie ich lesen das Buch in Abständen immer wieder mit
neuem Vergnügen.
Stevensons Stärken sind, nicht nur, Spannung zu erzeugen, die
bis zur letzten Seite nicht abreißen will. Er versteht es auch
vorzüglich, skurrile Charaktere und regelrechte Typen vor dem inneren
Auge des Lesers erscheinen zu lassen.
Einer dieser teilweise sogar sympathischen Figuren ist der zwiezüngige
und auch durchaus verbrecherische Schifskoch Long John Silver. Er hüpft
auf einem Bein durch die Handlung und weiß die übrigen Protagonisten
wie auch den Leser sowohl anzuziehen, als auch abzustoßen. von
derartigen Kleinzeichnungen lebt das Buch. Und der Leser lebt in ihm.
Ben Gun wäre noch zu erwähnen. Ein auf der Schatzinsel ausgesetzter
Pirat, der nicht unwesentlich zum Gelingen der Expedition beiträgt.
Auch er ist ein schillerndes Exemplar lebendiger Figuren in Stevensons
Roman. Man hat ihn förmlich vor Augen in seiner Verwahrlosung und
Abgerissenheit und spürt den flackernden Blick dieses halbirren
Menschen auf der Haut.
In die Reihe der von Stevenson geschaffenen Exentrikern gehört
zweifellos auch der Baron Trelawney. Naivling, Plaudertasche und von
kindlichem Gemüt. Dabei sträflich leichtsinnig in der Auswahl
vertrauenswürdiger Mitglieder der Schatzsuch-Expedition. Ohne die
vom Autor hervorragend herausgearbeiteten Charaktereigenschaften, wäre
es wohl kaum zu der verhängnisvollen Schiffsbemannung gekommen,
die den Aufenthalt auf jener fiktiven Insel so abenteuerlich gestalten.
Mehr soll nicht dem Lese-Vergnügen vorweggenommen werden. Es lohnt
sich, das in unterschiedlichen Übersetzungen vorliegende Buch wieder
einmal zur Hand zu nehmen.
Mit Sicherheit ist Robert Luis Stevenson immer ein Garant für
interessante und packende Bücher. Man denke da nur an "Doktor
Jeckyl und Mister Hyde" oder an seine Südsee- Geschichte "Der
Flaschenteufel".
Verfilmungen der Schatzinsel gibt es mehrere. Die mir am besten gelungen
erscheinende Adaption ist der vor kurzem wieder einmal gebrachte Vierteiler,
der für blinde Zuschauer auch als Hörfilm ausgestrahlt wurde.
Leider sehr verkürzt ist die Hörspielfassung, die als Audiobook
vorliegt.
(c) HE im März 2003
Rezension hier
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