Tore Renberg:
Das Wunder im Erdbeerfeld
Roman
Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob
btb Taschenbuch, 383 Seiten, 10 €
DAS BUCH RENBERG
Norwegen ist den deutschen Lesern exotisch. Seine
Kommissare haben Diabetes oder andere Skurrilitäten. Renberg
ist Norweger, und dies ist sein erster Roman in deutscher Übersetzung.
Der Klappentext verspricht "Sprachgewalt" - eine Drohung?
Er erinnert an den Wirbel, den Renbergs Themen in Norwegen verursacht
haben.Die Kollegen von Dagbladet fandens "fesselnd bis zur letzten
Seite." Der Buchfink nicht.
Das Wunder, das bei der Erdbeerernte (norwegische Erdbeeren?) über
den kleinen Jakob Malde hereinbricht, ist Gott selbst, der dem Kind
auf dem Plumpsklo erscheint. Er (Gott natürlich) trägt kurze
Hosen, riecht nach Zimt und sagt nur: "Gut, dass wir uns endlich
treffen". Das haut den Erdbeerpflücker um, im Wortsinn und
auch derart, dass er sein weiteres Trachten darauf ausrichtet, Gott
wieder zu sehen.
Zwei Faktoren machen ihn zum Gottsucher: Sein bibeltreuer Opa und
seine Krankheit: Er leidet an "idiopathischer Epilepsie".
Er nennt es sein elektrisches Gehirn, das seltsame Blitze aussendet.
Die Suche nach IHM ist, mit gutem Willen, ein Exodus aus seiner Wohnung,
hin zur Herkunftsfamilie. Sein Vater ist gestorben. Jakob fährt
zur Beerdigung. Ein "Roadmovie"? Leider nicht. Der Roman
liest sich über weite Strecken als Krankengeschichte eines fiktiven
Epileptikers. Eingestreut werden Begegnungen, die interessante Menschen
zeigen, sehr norwegische Menschen. Schweigsam, dunkel. Dazwischen
Erinnerungen an traumatische Kindheitserlebnisse des Helden. Eine
Badeunfall, bei dem seine Schwester starb, prägt Jakobs Schuldtrauma.
Er sucht die erlösende Gottesliebe mit aller Gewalt, allerdings
nicht, wie die Werbung spricht: Er gehe über Leichen. Sein Totschlag
passiert ihm eher, als dass den Leser hier norwegische Serienkillerei
erwarte. Bevor Spannung aufkommen kann, schiebt Renberg rasch ein
paar Kranken-Akten aus der Uniklinik Haukeland ein.
Das religiöse Thema ist kein Ersatz für
fehlende Handlung. Die Suche gewinnt kaum je Tiefe und wirkt wie ein
Syndrom. Das letzte Kapitel soll dies vielleicht ausgleichen, denn
hier, oh Herr, spricht Gott das letzte Wort.
Eine Epiphanie der literarischen Art. Gott spricht sein Urteil über
Jakob Malde, das hier nicht verraten wird. Nur so viel: Renberg hat
sich mit seiner norwegischen Theologie nicht in die Liga der Synoptiker
gespielt.
Der Buchfink rät: Besser gleich zu Markus greifen.
Oder Lukas.
Weniger Worte, höherer Gebrauchswert.
Simon Croll, November 2002