Miss Read:
Dorfschule
Mit Illustrationen von J.S. Goodall. Deutsch von
Isabella Nadolny. Deutscher Taschenbuch Verlag Bd. 20027, 260 Seiten,
14,90 DM ISBN 3-423-20027-8
Die Umschlagzeichnung von Stephen Ravis bieten einen Blick auf ein
britisches Dörfchen und weckt Erwartungen nach Idylle. Titel
und Pseudonym der mittlerweile 84-jährigen Autorin Dora Saint
tun das Ihrige hinzu und - führen in die Irre. Hier schreibt
nicht eine Pilcher für Pädagogen, sondern eine genau beobachtende
und bisweilen recht unterkühlt-humorvolle Dorfschullehrerin
über die Realitäten eines Schuljahres im südenglischen
Flecken Fairacre.Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Die Ich-Erzählerin arbeitet irgendwann in den 50-er Jahren
an einer zweiklassigen Schule und betreut dort mit einer Kollegin
40 Schülerinnen und Schüler. Sie ist für die 20 Größeren
zuständig, die zwischen 8 und 11 Jahre alt sind. Mit viel Liebe
und Nachdruck bemüht sie sich in diesem Jahr um jeden ihrer
Schützlinge, wobei sie darauf bedacht ist, die Kinder je nach
ihren Fähigkeiten zu fördern, manchmal auch gegen den
Widerstand der Eltern, die zuweilen ehrgeizig oder auch gleichgültig
sind, was die Zukunft ihrer Sprößlinge angeht. Daneben
hat sie zu kämpfen mit einer sehr eigenwilligen Reinigungskraft
und einem Schulhaus, das manchen Leser an seine "Volksschule" erinnern
mag. Immerhin werden einmal im Monat bereits Lehrfilme gezeigt!
Und die "Öffnung der Schule", wie sie heute bei uns propagiert
wird, ist hier selbstverständlich: Die Schule ist integraler
Teil des Dorflebens.
Das Büchlein erzählt nun von den in einer Grundschule
üblichen Veranstaltungen. Da gibt es ein Musikfest, Weihnachts-
und Ostervorbereitungen, mühevolle Bastelarbeiten und die Verrentung
einer Kollegin, die natürlich wie Miss Read eine leidenschaftliche
Pädagogin ist. Eine neue Lehrerin wird eingestellt und heiratet
alsbald einen Kollegen aus der Nachbarschule, um ihren Arbeitsplatz
wieder freizumachen. Fleißige Schüler bereiten sich auf
eine Zulassungsprüfung vor, andere stehlen Eier oder streiten
um Anerkennung. - Spätestens nach 30 Seiten hat man sich in
diese Ruhe eingelesen und erwartet keine Sensationen oder dramatischen
Höhepunkte mehr. Am Ende ist man überrascht, daß
man ohne Langeweile teilhaben konnte an einem Schulleben, das es
so nicht mehr gibt. So mag das Büchlein mittelalte Pädagogen
daran erinnern, weswegen sie einmal diesen schönen Beruf ergriffen
haben. Es könnte ihnen auch erklären, warum sie mit 45
bereits ausgebrannt sind in ihren Klassen mit 32 verstörten
Jugendlichen, in ihren Schulhäusern, deren Dach zwar dicht,
deren 1200 Beschulte aber nicht mehr zu verstehen oder gar zu fördern
sind.
Ein Buch wie ein kleiner, klarer Bach im Herbst
- es plätschert so träumerisch dahin, daß die Lektüre
bestimmt gesundheitsfördernd ist.
© Simon Croll 2002