Wer ist Siri Hustvedt? Na, die Frau vom Auster Paul! Ein Schriftsteller-Paar
mit gemeinsamer Tochter. Mit gemeinsamem Stil? Ob SIE bei IHM abschreibt,
oder ER von IHR?Das wollte ich in Erfahrung bringen.
Wofür Sie 46 MARK ausgeben sollen?
Zunächst einmal für eine lebensnahe Familiengeschichte
im 3. Jahrtausend. Der Ich-Erzähler Leo Hertzberg zieht mit
seiner Frau Erica in ein Haus, in dem auch ein befreundetes Paar,
Lucille und Bill, Wohnung nehmen. Eigenfarbe bekommt dieses herkömmliche
Szenario, weil Bill Künstler ist, Leo Kunsthistoriker und die
Frauen Geisteswissenschaftlerinnen. Und die Wohnuingen sind "Lofts"
in New York.
Der erste von drei Teilen führt das intellektuelle Quartett
zusammen. Hustvedt gibt sich Mühe, das Binnenklima präzise
zu treffen. Wenn die Autorin Mühe hatte, spürt die Leserin
das oft auch - penetrantes Name-Dropping und der Abwurf zahlreicher
Bedeutungs-Nebelkerzen erinnern an quälendes Gerede auf Parties
in den genannten Kreisen. Zufallsbeispiel? "Erica beugte sich
zu Bill und grinste: "Du findest also auch, dass der Roman
ein Sack ist, in dem alles Mögliche stecken kann?" "Tristram
Shandy, viertes Kapitel, über Horaz ab ovo",
sagte Bill und deutete mit dem Zeigefinger zur Decke hinauf."
Dann zitiert er noch ein paar Worte aus dem Original, live und ohne
Neger.)
Wenn das mit dem Sack stimmt: Ist vielleicht noch mehr drin in
der Geschichte? Der Buchfink hat weiter gelesen und meldet treulich:
Ja, es ist.
Die Paare bekommen jedes einen Sohn, der Erzähler wird in
reifem Alter Vater von Matt, Bill und Lucille kriegen Mark. Alle
vier kriegen, wie im Leben, Glück und einen Haufen Probleme.
Zum Glück für Bill gehört Violet, die über
weibliche Hysterie forscht und schreibt und sofort erkennt, dass
Bill mit einem ausgewachsenen Exemplar verheiratet ist. Sie kämpft
klug und siegt, Bill macht sich los von Lucille. Violet wird Stiefmama
mit Leib und Seele und das Paar ist glücklich.
Leo freut sich für den FreundBill, denn er findet Violet auch
sehr nett. Mit Matt haben seine Frau und er viel Spaß. Der
Junge zeichnet mit Talent und recht rätselhaft (woher hat er
das nur?). Folgen einige Passagen über amerikanische Kinderaufzucht
und den Kunstbetrieb in NY, wo Bill sich mit - rätselhaften
- Installationen einen Namen macht. So weit zum Glück.
Sohn Matt stirbt bei einem Bootsunfall in seichtem Wasser. Teil
2 eröffnet mit der Todesnachricht und zeigt, wie Erica und
Leo daran beinahe zerbrechen, trotz der wunderbaren Hilfe von Violet
und Bill. Erica nimmt Reißaus und wird sich wohl zeitlebens
der Heimat nicht mehr nähern können, ohne zusammenzubechen.
Sie schreibt Leo, telefoniert manchmal. Leo freundet sich mit Mark
an, der ihm Matt ersetzen soll. Mark ist lieb und spontan, hakt
schon mal sein Knie bei Leo ein, wenn er "Harpo Marx"
ist. Mark hat viele Gesichter, viele Stimmen. Zu viele. Er lügt,
dass sich die Balken biegen, stiehlt bei seinen Eltern und bei Leo,
hat gruseligen Umgang mit der Künstlertunte Teddy, und wenn
man das so auflistet, ist es kaum zu glauben, dass die Erziehungsberechtigten
nichts von seinem Drogenkonsum bemerken und immer wieder auf seine
treuen Dackelaugen reinfallen. Vorsicht: Das schmerzt beim Lesen!
Leo erzählt diese Geschichten im Rückblick. Er ist inzwischen
pensioniert und hat so viel Abstand zu den haarsträubenden
Episoden, dass er ehrlich und nüchtern spricht - glaubwürdig
sogar. Die Autorin hat sich nachvollziehbar in die Männerrolle
gedacht. Der dritte Teil lebt von dem Spiel, dass Mark mit den Erwachsenen
treibt. Spannend wie ein früher Hitchcock? Spannend wie das
Leben selbst, aber das wissen nur Autoren, die so alt sind wie Siri
Hustvedt, Jg. 55. Keine Popliteratin, sondern Schriftstellerin.
Ist die Zeit für Expeditionen in die endmoränen des Lebens
gekommen? Das würde unserer Literatur gut tun.
Uns was ist mit Auster/Hustvedt? Ja, sie schreiben vergleichbar.
Zettbeh die Verwendung zahlreicher Fachbücher über Hysterie
oder Kunst; die anstrengend genauen Beschreibungen von Bills Werken:
Das erinnert doch sehr an zB des Ehemanns quälende Inhaltsangaben
von Stummfilmen im Buch der Illusionen. Aber bittesehr - ein Blick
in Autors Trickkiste genügt nicht, um den Wert eines dann doch
noch gut erzählten Buches zu schmälern.
Der Buchfink meint:
Gebrauchswert hoch, für Leser über 38.
(c) Simon Croll, Februar 2003