Halina Poswiatowska:
Immer wenn ich leben will
Gedichte
Aus dem Polnischen von Monika Cagliesi-Zenkteler
Piper, Hardcover mit Schutzumschlag, Lesebändchen,124 Seiten
Gäbe es eine Pisa-Studie über das Verständnis für
und Schaffen von Gedichten, läge Deutschland nicht an der Spitze.
Eher schon Polen.
Hier zu entdecken ist Halina Pastiatowska, 1935 in Tschenstochau geboren
und schon 32 Jahre später an einem Herzleiden gestorben. Das macht
die Lektüre zu etwas Besonderem. Ist die früh Verstorbene
eine früh Vollendete? Dem Kritikergenörgel entzogen? De mortuis....
Piper hat sich zur Veröffentlichung überzeugen lassen, weil
der Roman "Erzählung für einen Freund" 2000 die
geneigte Leserschaft neugierig gemancht hatte - sind doch beide Ausdrucksarten
hier eng verwoben: Der Roman erzählt, was die Gedichte erspüren
und meditieren. Wer die Gedichte liest, will wissen, wie dieses lyrische
Ich seine Geschichte um einen blinden Freund nacherzählt, wer den
Roman liest, will tiefer eindringen in die Gefühlswelt. Im Roman:
"In dem verrauchten Zimmer voller fremder Männer, die mich
aufdringlich ansahen, hast du allein meinen Worten gelauscht. Du hast
das Zittern meiner Stimme gehört und erraten, daß sich unter
den Worten Verzweiflung und Auflehnung verbargen" (S. 35) - Im
Gedicht:
du Liebster bist blind
also gebe ich dir keine Schuld
doch ich hatte zwei sehende Augen
vergebens
meine sehenden Augen
erblickten dein Herz nicht
meine geschickten Hände
griffen nicht danach
und es entglitt mir
wie Gott die erde
um durch die Umlaufbahnen
der Einsamkeit zu taumeln (S. 97)
Der Freund wird zum Vertrauten, seine Liebe erwidert die Dichterin
nicht. Er bleibt zurück, als sie zu einer Herzoperation in die
USA reist. Er wartet, doch sie will in Amerika studieren und nicht zurück
nach Polen.
Ein Liebes- und Literaten-Schicksal, das man im Hin- und Widerspiel
verfolgen kann.
Die Gedichte sind jedoch reichhaltiger. Ihre Sprache ist einfach, doch
was die Autorin mit dem Material hervorruft, ist überraschend neu.
Man liest es gern, weil es das Vertraute Ambiente ist. Man liests mit
Erstaunen, weil im Gewohnten immer wieder Ungeahntes aufscheint:
mitten in mir
entfaltet sich ein Baum
seine Äste haften
dicht an meinen Adern
seine Wurzeln
trinken mein Blut
braun werden
meine ausgedörrten Lippen
mitten in mir macht sich Hunger breit
wie ein Soldat in der erstürmten Stadt
der Tag ist weiß
wie zum Glühen gebrachtes Blut
ohne einen Horizont
auf den ich meine Liebe stellen könnte
und sagen
lebe
(S. 40)
Der Buchfink hat nichts zu nörgeln. Ein schönes Buch. Nur
schade, dass Piper kein Besprechungsexemplar des Romans zur Verfügung
stellen mag. Schade auch, dass sich die dichterin keinen Künstlerinnennamen
zugelegt hat. Pos-wia-towska? Suchen Sie besser die ISBN: 3-492-04397-6
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