Max Goldt: Wenn man eine weißen Anzug anhat.
Ein Tagebuch-Buch
Rowohlt Verlag 2002, 158 Seiten, Hardcover mit Lesebändchen, 16,90 €
Wenn man eine weißen Anzug anhat, bewegt man sich
vorsichtig. Erkenntnisse wie diese machen sich in dem seltsam gestalteten
Bändchen breit, das sich zu Recht Tagebuch-Buch nennt. Es entstand,
weil Goldts Lektor es sich wünschte. Er meint, Goldts Stärke sei
die kleine Form. Da hat er vielleicht Recht, der Lektor. Aber das
heißt nicht, dass man kleine Formen so einfach produzieren könnte,
weil die Marke Goldt gerade gut geht. Der Autor weiß das und schickts
verschämt voraus. Warum er dennoch zugesagt hat, lässt sich denken.
Weil Goldt gut geht. Zur Zeit. Und damit es Goldt gut gehe. Beizeiten.
Aber geht es auch dem Lese gut, der Leserin? Hier
zweifelt der Buchfink. Man liest die kleinen Apercus so weg, wie
man Toast mit Marmelade isst. Und wenn man gerade keinen weißen
Anzug anhat, bleibt die Lektüre völlig folgenlos. Eine Zeit lang
ist es vielleicht interessant, den frei Schaffenden oder Freischaffenden
bei seinen Lesungen zu begleiten und mit ihm zu leiden an humorlosem
Publikum oder penetranten Autogrammjägern. Und wenn er dann auch
noch ins Hotelzimmer muss! Grausam, was einem Autor so zugemutet
wird. Echt.
Nur gut, dass in die Zeit der Auftragsarbeit für
das "Tagebuchbuch" der elfte September fiel. (Darf man
das so schreiben? Man darf.) So wissen wir jetzt auch, wie Max Goldt
diesen Tag zugebracht hat. Kein Kommentar.
Einigermaßen anregend kann die Lektüre seiner sprachkritischen
Einlassungen sein.Beispiel?
"Betroffenheit: Wurde in den achtziger Jahren
überstrapaziert. Hat sich inzwischen erholt." Wie schön. Da
können wir uns auf was gefasst machen.
Aber den Wörtern "skurril" und "gewöhnungsbedürftig"
gehts ganz schlecht. Ob die sich je erholen werden? Sie geben, sagt
Goldt, "beredt Auskunft über den engen kulturellen Horizont
ihrer Verwender." Ach, Goldt. Wir verstehen Sie ja. Ist ja
gut.
Es gibt starke Stellen im Leben des Humorkritikers,
wie in jedem anderen Leben auch. Wenn er umzieht, weil er vor seinen
"skurrilen" Nachbarn flieht. Wie er abblitzt bei seinen
neuen Nachbarn, denen er sich höflich bekannt machen möchte. Ich
dürfte diese Passagen jetzt "cool" nennen, nach Goldts
In-and-Out-Liste. Mach ich aber nicht.
Der Umschlag ist echt gewöhnungsbedürftig, falls
man das Buchbuch längere Zeit bei sich herum liegen lässt. Eine
Schrift, die so arabisch aussieht, dass man sie nach dem 11. September
eigentlich nicht mehr benutzen darf. Dazu auf schwarzem Grund eine
Dame in gelb-orange, die dasteht, als habe man sie aus einem Viedolehrfilm
"Ententanz leicht gemacht" geschnippelt. Vor ihr ein rosa
(!) Kuli-Krakel, den sie vielleicht beschwört. Betanzt? Beklagt?
Ich sag ja: Gewöhnungsbedürftig. Und weils so schön
ist, hier noch ein Wort von der schwarzen Liste: "pseudointellektuell".
Gebrauchswert: Sehr gering. Für eingefleischte
Fans unter Umständen ein Mitbringsel.
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Simon Croll XI/02