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Hermann Hesse

Demian

wieder gehört von Hanno Erdwein

Ich stehe noch ganz unter dem Eindruck des soeben Gehörten. "Demian" von Hermann Hesse. Es ist, wie schon in seinem "Siddharta", eine weitere Beschreibung der Suche nach dem Ich. Motto: "Ich will ja nichts, als das zu leben versuchen, was von selbst aus mir heraus will." So der Ich-Erzähler Emil Sinclair. Die ersten zaghaften Schritte in dieser Richtung werden durch den skrupellosen Schüler Kromer vereitelt, der Emil erpreßt und seelisch mißhandelt. Als das unerträglich wird, kommt überraschend Hilfe. Demian. Er ist plötzlich da, Mitschüler der gleichen Lehranstalt und erkennt hellseherisch die Nöte Emil Sinclairs. Es beginnt eine - für den Leser recht merkwürdige - Freundschaft. Gleich am Anfang führt Demian sich dadurch ein, daß er provozierende Ansichten ausspricht, ja, geradezu den Advocatus Diaboli spielt. So stellt er zum Beispiel die Geschichte von Kain und Abel in Frage. Vertritt die Ansicht, daß Kain der bedauernswerte Mensch sein müsse, weil er ein Mal trage (Mal hier als Makel zu verstehen), wodurch er und seine Nachkommen gesellschaftlich geächtet wurden. Um diese Ächtung begründen zu können, erfand man die Mär von Brudermord. Ansichten, die den pubertierenden Emil Sinclair ganz schön in Verwirrung bringen. Aber auch noch andere, geradezu ketzerische Gedanken läßt Demian laut werden: Jehova und Satan seien Aspekte ein und derselben Gottheit. Satan wäre nur die dunkle Seite Gottes. Und dieser Gott trage den namen Abraxas. Und auch noch Anderes pflanzt Demian in das wachsweiche Gemüt Sinclairs. Der hat ganz schön daran zu knabbern. Er träumt viel und schrecklich. Ein solcher Traum handelt davon, daß ihn Demian auspeitscht. Zu Sinclairs Entsetzen empfindet er dabei Lust. In einem anderen Traumbild wird er von der eigenen Mutter zum Beischlaf verführt.

Emil Sinclair wird an eine Internatsschule versetzt. Neue Eindrücke. Mitschüler, bei denen er mithalten möchte. So gerät er vorübergehend in eine Zechkumpanei, die ihn von seinem eigenen Streben wieder abirren läßt. Doch hat er auch eine positive Begegnung. Er lernt den Organisten Pistorius kennen. Und mit ihm taucht er wieder in die Gedankenwelt des Demian ab. Viel ist von Abraxas die Rede.

Sinclair beginnt, seine Träume zu malen. Auf einem Bild sieht man, wie ein Vogel, eindeutig ein Sperber (von dem schon zuvor die Rede war), sich mühsam durch die Eischale pickt. Dies, so liest man, sei so zu deuten: Der Vogel ist das Ich, welches sich nach Erkenntnis strebend herauskämpfen muß. Die Eischale verkörpert die Welt, auf der es kaum ohne Zerstörung zu einer echten Selbstverwirklichung kommen kann. Das Bild sendet Sinclair an Demian, ohne dessen Aufenthalt zu kennen. Offensichtlich sind paranormale Kräfte am Werk (so der Eindruck des Lesers); denn auf wunderbare Weise erhält Sinclair Antwort. Er findet in einem seiner Bücher den zusammengefalteten Zettel Demians.

Im Laufe seiner Studienjahre kommt Emil Sinclair dann wieder mit Demian zusammen und wird bei dessen Mutter eingeführt. Von dieser Frau ist Emil stark beeindruckt. Sie übt geradezu eine erotische Wirkung auf ihn aus. Im Hause Demians wird viel philosophiert. Auch ist wieder vom Kainsmal die Rede, mit dem jene gekennzeichnet seien, die auf einer "höheren Ebene" miteinander verbunden wären. Sinclair habe das ja bereits mehrmals erfahren. Auch er trage dieses Zeichen.

Der erste Weltkrieg bricht nicht unerwartet aus. Demian und auch später Sinclair rücken ins Feld. Der Krieg, so äußert sich Demian, sei die Chance, daß sich vieles auf Erden wandeln könne, dem Vogel gleich, der die Schale zertrümmern muß, um ans Licht zu kommen.

In der Schlußszene erleben wir Emil Sinclair als Verwundeten in einer Baracke. Neben ihm ein Sterbender. Dann sieht er - oder träumt er es - über dem Sterbenden Demians Kopf zu sich herunterbeugen. Der küßt ihn auf den Mund. Diesen Kuß, so hört er, sende ihn Demians Mutter.

Damit endet das Werk. Es wirft viele Fragen auf, die sich der Leser selbst beantworten muß. Ab und an keimt der Verdacht auf, es werde unterschwellig eine homoerotische Beziehung dargestellt, was ja nicht weiter tragisch ist - jedenfalls heute nicht mehr. Manches erinnert an Thomas Manns "Zauberberg", vor allem die Atmosphäre des hereinbrechenden Weltkriegs.

Ich las Demian vor gut dreißig Jahren und hörte heute die vorzügliche Hörspieladaption. Der Erzähler ist Ulrich Matthes, den wir ja schon durch seine hervorragende Siddharta-Lesung kennen.

Demian ist kein Buch zum genußvollen Konsumieren. Es rüttelt an Verkrustungen und festgefahrenen Denkgewohnheiten. Deshalb war es neben dem "Steppenwolf" in der 68er-Bewegung so populär. Demjenigen, der mal ein wenig über den alltäglichen Tellerrand hinausdenken möchte, kann ich es nur wärmstens empfehlen

(c) August 2002


 



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