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Karl Hermann Haack (Hrsg.):
Nehmt mich beim Wort
Von Buntschatten, Pandas und 50 Arten, die Strümpfe
anzuziehen
Literaturwettbewerb zum Europäischen Jahr der Menschen
mit Behinderungen
ISBN 3-570-00808-8
Rezension: Ursula Planck
Ein ideales Weihnachtsgeschenk für die, die alles haben,
aber unbedingt was geschenkt kriegen müssen:ein Buch, das man nicht
lesen
muss, aber es wirkt gut, wenn man es verschenkt oder besitzt. herausgegeben
vom Behindertenbeauftragten der Bundesregierung, gesegnet vom Bundespräsidenten
selbst, mit lauter Kurzgeschichten, die irgendwas mit
Behinderung zu tun haben.
Die Autorinnen und Autoren sind selbst richtig echte Behinderte oder
deren Geschwister oder so (also solche, die sich auch richtig mit sowas
auskennen). Deshalb ist das Buch durch und durch authentisch, von lauter
Betroffenen und das ist immer gut. Sie können schreiben, was sie
wollen,
aber echt sind sie auf jeden Fall. Wenn sie schreiben, dass sie verzweifelt
sind, können Lesende tief seufzen und verständnisvoll nicken:
Behinderte
haben es halt schwer. Wenn sie schreiben, dass sie trotzdem gewillt
sind,
ihr schweres Schicksal irgendwie zu meistern, können
Lesende beeindruckt sein.
Schreiben sie über ihre Beziehungen zu anderen Menschen,
Liebesbeziehungen womöglich, können Lesende sorgenvoll die
Stirn runzeln:
sie verstehen ja beide Seiten, aber mit Behinderten ist sowas halt schon
sehr problematisch.
Schreiben Sie in der 3. Person täuschen sie die
Lesenden nicht: Es ist ja klar, dass sie die behinderte
Person in der Geschichte sind.
Wenn sie lieber ein ganz behinderungsfernes Thema wählen,
dann schmunzeln wissende Lesende darüber, dass die Armen
auch mal was anderes in den Vordergrund schieben wollen als immer
bloß ihre Behinderung.
Manche schreiben sogar was Kritisches - da stellen
Lesende dann mitleidig fest, dass manche dieser geplagten Menschen verbittert
über ihr schweres Schicksal sind und deswegen ungerecht werden
- obwohl
sie es sich dadurch doch bloß schwerer machen. Dass die Geschwister,
Eltern
und sonst Nahestehenden ihre Behinderten natürlich lieb haben,
alles für sie tun und trotzdem immer ein schlechtes Gewissen haben,
wissen die
Lesenden natürlich auch.
In einzelnen der beschriebenen Fragen wüssten es
Lesende selbst vielleicht doch besser, aber man kann diese aufopfernden
Angehörigen doch alles in allem nur bewundern, wo sie doch so eine
große
Verantwortung zu tragen haben, der sie einfach nicht immer gerecht werden
können. Auf das, was die Autorinnen und Autoren ganz authentisch
selbst
sagen wollen, kommt es ja nun wirklich nicht an, deshalb können
dümmliche
und kluge Kurzgeschichten in diesem Buch direkt nebeneinander
stehen, ohne dass es auffällt oder gar stört.
Gut geschrieben müssen diese Geschichten auch nicht sein, weil
die Vorurteile der Lesenden und das wohlige Erschauern oder die Sorgenfalten
sich sowieso nicht auf literarische Qualität beziehen.
Wie, Sie meinen, das sei kein besonders originelles Weihnachtsgeschenk?
Zugegeben, Bücher von echten Behinderten gibt es jedes Jahr wieder
um diese
Jahreszeit. Aber ein mal im Jahr braucht doch jeder dieses wohlige Gefühl,
dass man selbst trotz allem noch nicht am schlimmsten dran ist, und
dass
man nicht bloß an sich denkt, ...
Spätestens nach der Lektüre von 1-2 Kurzgeschichten können
die beschenkten Lesenden das Buch dann befriedigt ins Regal stellen
und behalten den Gedanken, dass Behinderte es schon
furchtbar schwer haben und schon mutig sein müssen so
weiter zu leben ...sie
haben es selbst gesagt.
Wer diese Sicht von Behinderten bestätigen will, sollte wirklich
nicht versäumen, dieses Buch möglichst oft zu verschenken.
Schämen sie sich, wenn Sie zu diesem Kreis wohlmeinender
Gut-Menschen
gehören wollen!
Für den vertrauenerweckenden Rahmen sorgt der Herausgeber, Karl
Herrmann
Haack, der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung.
Im Rahmen des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen
hat
er einen Literaturwettbewerb veranstaltet, der dieses Buch mit
den 35 besten Einsendungen hervorgebracht hat. Es heißt übrigens
"Nehmt mich beim Wort - Von Buntschatten, Pandas und 50 Arten,
die Strümpfe
anzuziehen" - ein Titel der neugierig macht, aber das gibt sich
nach der Lektüre
von einigen Kurzgeschichten von selbst (der interessant klingende
Teil des Titels die "Buntschatten" und die "Fünfzig
Arten sich die Strümpfe
anzuziehen" entstammen übrigens beide lesenswerteren Büchern
von
behinderten Schreiberlingen*).
Der Herausgeber behauptet im Vorwort, hier "durchaus Qualität"
zu präsentieren. Damit kann er nichts Literarisches meinen, weil
bei jenen "besten" Beiträgen mit wenigen Ausnahmen kein
literarisches Niveau zu finden ist. Also meint er vermutlich die bei
allen Beiträgen vorhandene Qualität der Behinderung. Etwa
so,
dass es Durchaus wider Erwarten sogar Behinderte gibt, die mehr können
als bloß behindert sein. (in Ausnahmefällen natürlich,
dass es nicht häufig
ist, belegt das Buch). Oder wollte er gesagt haben, dass selbst so ein
elendes Thema wie Behinderung durchaus was Bemerkenswertes hat:
Schließlich gibt er hiermit höchst selbst Behinderten und
diesem leidigen Thema ein öffentliches Forum und das ist doch was,
oder?!. Weil ihm die puplicityträchtige Würdigung der Anliegen
von Menschen mit echten Behinderungen so wichtig war, hat er auch betont,
dass dem Buch eine
Hörbuchversion beiliegt. Dass blinde Lesende nichts von
einer Hörbuchversion haben, die noch nicht einmal ein Drittel
der Kurzgeschichten des Buches beinhaltet (von den Vorwörtern und
dem Anhang
sowieso zu schweigen) war da wohl zu speziell. Manche der Behinderten
haben vielleicht Ansprüche ...
So ein Buch zu kritisieren ist natürlich so verrucht,
als würde man Geld
aus einer Opferbüchse in der Kirche klauen, statt
welches hinein zu tun.
Aber ich darf das:
Ursula Planck
Alias das Musterkrüppelchen
(echt behinderte Autorin einer in diesem Buch
veröffentlichten
Kurzgeschichte und blöd genug, dabei mitgemacht zu haben)
*Axel Brauns: Buntschatten und Fledermäuse
Angela Stadthaus: 50 Arten, die Strümpfe anzuziehen
Ich kenne beide Bücher aber nicht selbst.
© Ursula Planck 2003
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